Intensiv und erschütternd

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ayasha Avatar

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Die letzte Seite ist umgeblättert und inzwischen habe ich die Geschichte auch schon etwas sacken lassen. Jetzt sitze ich hier und versuche meine Gedanken zu ordnen und meinen Leseeindruck zu formulieren. Ich muss gestehen, es fällt mir nicht leicht, da das Buch mich schon sehr zwiegespalten zurück gelassen hat.

Die 10jährige Phoebe vermisst ihre Schwester April, die in einer Klinik gegen Magersucht kämpft, schmerzlich und versteht nicht, was eigentlich wirklich vorgeht. Die Eltern können ihr in ihrer Ohnmacht keine Antworten geben und so flüchtet sich das Mädchen in ihre Briefe, die sie an ihre Schwester schreibt.

Die Briefe der Schwestern gehören zu den intensivsten Texten, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Lilly Lindner hat das grosse Talent Gefühle in Worte zu verwandeln, die den Leser in seinem Innersten berühren. Es sind Texte, die kaum jemanden kalt lassen und die lange nachhallen. Es sind intensive Lesemomente, die auch nach dem Zuklappen des Buchdeckels den Kloss im Hals stecken bleiben lassen.

Phoebe wirkt auf mich oft viel älter als 10, da die Formulierungen meiner Meinung nach nicht immer altersgerecht erscheinen. Das ist jedoch nur ein kleiner Punkt, der mich auch nicht weiter gestört hat.

Da hatte mich das Verhalten der Eltern schon viel mehr ins Straucheln gebracht. Einerseits war ich nur entsetzt über die Art und Weise, wie die Eltern mit den Mädchen und mit dem Thema Magersucht umgehen. Andererseits empfand ich die Darstellung von Vater und Mutter viel zu einseitig und damit sehr voreingenommen. Immer wieder hatte ich den Eindruck, dass die Autorin ihre eigene Enttäuschung und den eigenen Frust in diese Darstellungen packte. Ein Frust, der möglicherweise berechtigt ist, den ich als Leser aber so nicht verstehen oder gar nachvollziehen kann. Daher finde ich es schade, dass der Leser keine Gelegenheit erhält, sich ein eigenes, objektiveres Bild von den Eltern zu machen und dass diese Feindseligkeit manches Mal das Thema Magersucht in den Hintergrund drängte.

Dennoch ist es vor allem Lilly Lindners Sprachgewalt und die besonders intensiven Lesemomente, die mir in Erinnerung bleiben werden und ich vergebe vier von fünf Sternen.