Was fehlt, wenn ich verschwunden bin

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gelinde Avatar

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Was fehlt wenn ich verschwunden bin, von Lilly Lindner

Gleich vorweg:
Das Buch ist eine Meisterleistung an poetischen Sätzen und Wortspielen.

Ich kann hier auch keine „normale“ Rezi schreiben, denn das Buch hat mich total zerrissen, fassungs- und atemlos gemacht, erstarren lassen, es ist schmerzlich und hat mir Herzklopfen beschert.

Die Autorin Lilly Lindner hat sehr viel autobiographisches in dem Buch verarbeitet, deshalb geht es mir auch mitten ins Herz.

Das Buch ist in Briefform geschrieben.
In der ersten Hälfte schreibt die 9jährige Phoebe Briefe an ihre Schwester April die in einer Klinik für Magersüchtige ist.
Im zweiten Teil lesen wir dann die Briefe die April zurück schreibt.

Ich war am Anfang recht irritiert über die Wortgewalt und die poetische und weise Schreibweise von Phoebe und ich muss auch ehrlich sagen, dass ich das die ganze Zeit beim Lesen nicht so recht verstehen konnte. (Hab ich (54) doch in meinem ganzen Leben noch nie mit so hochintelligenten Kindern irgendeine Berührung gehabt).

Es fällt mir schwer mir vorzustellen, dass sich Kinder so verhalten. Absolut nicht verstehen kann ich, dass sich Eltern so Verhalten, ihre Kinder ablehnen und sie mit ihren gravierenden Problemen sich selber überlassen. Aber vermutlich sieht die Realität doch so aus.
Für mich geht es in dem Buch nicht nur um die Magersucht, sondern um eine Familie in der viel zu viele Probleme zusammenkommen und diese einfach nicht beachtet werden (wollen).
Und es fehlt Liebe und nochmals Liebe, und es gibt keine Nestwärme die doch für Kinder so wichtig ist, und ich finde wir als Eltern sind verpflichtet die zu geben.
Die Probleme und die Fehler die in dieser Familie gemacht wurden und gemacht werden, werden mit einer solchen Wucht erzählt, dass ich einfach fassungslos, ja sprachlos bin. Ich finde keine Worte, ich kann meine Gefühle gar nicht beschreiben. Ich habe nur ständig einen Kloß im Hals, Herzklopfen und am Ende sind bei mir auch Tränen geflossen.
Ich könnte hier das ganze Buch zitieren, ein paar Beispiele:
Schon im Kindergarten fühlt sich April fehl am Platz.
Oder:
Wenn eine Grundschülerin sagt: ...”seitdem weiß ich, dass ich an so ziemlich alles glauben kann, nur nicht an mich.“ Dann zeigt das doch schon, dass die Eltern dem Kind gar kein Selbstvertrauen geschenkt haben.
Oder:
"Ich war acht Jahre alt. Und ich hatte gerade erst angefangen zu hungern. Ich wusste noch nicht, was Magersucht ist. Aber eines wusste ich: dass der nagende Schmerz in meinem Bauch besser war als die Einsamkeit in meinem Kopf."
Oder:
„Ich hatte noch nie jemand, der mich tragen konnte.“

Weitere Zitate (etwas gekürzt) die unglaublich sind:
--„Aber um ein Lachen sollte man auch nicht bitten müssen. Ein Lachen sollte man geschenkt bekommen.“
--Wenn es nur fünf Minuten dauert, um einem Kind zu helfen, dann sollte doch jeder Mensch fünf Minuten seiner Zeit übrig haben.“
-- …einige Erwachsene glauben nämlich, dass sich Versprechen von –ich hab mich versprochen- ableitet.“
--„Ich mag den Sturm in mir! Das sind nämlich meine Gefühle“

Mein Fazit:
Dies ist ein absolut unglaubliches Buch.
Jeder sollte sich dafür Zeit nehmen und am besten dann noch jemand haben mit dem er es besprechen kann, um seine Gedanken und Gefühle zu beruhigen und zu sortieren.