beeindruckend

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borgeli Avatar

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Lydia ist tot. Dieser erste Satz gibt sofort diese Tatsache preis, die die Familie zu dem Zeitpunkt von Lydias Verschwinden noch gar nicht kennt. Und ab da beschreibt uns die Autorin die besonderen Familienverhältnisse der Familie Lee. James als Sohn chinesischer Einwanderer schafft es in den 60ern zu einer Professorenstelle an der Uni. Marilyn ist Studentin und verliebt sich in ihn. Die Initiative für die Beziehung geht von ihr aus.

Marilyns Mutter lernt James erst zur geplanten Hochzeit kennen und ist entsetzt, dass er Chinese ist. Sie will ihre Tochter unbedingt davon abhalten, ihn zu heiraten. Sie hatte sich für Marilyn immer einen (amerikanischen) Harvard Absolventen gewünscht. Da sie die Hochzeit nicht verhindern konnte, bricht sie danach jeden Kontakt zu ihrer Tochter ab. Marilyn und James haben inzwischen 3 Kinder: Nath der Älteste, dann die jetzt 15jährige Lydia und die kleine Hannah. Wegen der Heirat und der Kinder enden für Marilyn die Bemühungen, Ärztin zu werden. Aus heutiger Sicht ist es nicht sehr leicht vorstellbar, dass es damals so ungewöhnlich für Frauen war, zu studieren und beispielsweise Ärztin zu werden. Ebensowenig wie die gesellschaftliche Ächtung, wenn eine Amerikanerin einen Asiaten heiratet.

Ab Lydias Verschwinden handelt das ganze Buch vom Zusammenwirken der einzelnen Familienmitglieder. Aus Sicht von jedem einzelnen werden Erinnerungen aus der Vergangenheit, meist im Bezug auf Lydia, und der heutigen Gefühlslage nach Lydias Tod, geschildert. Ich war mit jedem gelesenen Kapitel zunehmend entsetzter, wie die Eltern ihre Kinder überfordern bzw. vernachlässigen. Alles unter dem Deckmantel, nur das Beste zu wollen, wird Lydia überhöht und überfordert, Nath und Hannah werden komplett vernachlässigt. Die Autorin versucht zwar durch die ausführliche Schilderung der Entstehung der Beziehung der Eltern zu erklären, warum James und Marilyn so handeln. Es bleibt aber für mich vollkommen unverständlich, wie die beiden mit ihren drei Kindern umgehen. Sie nehmen ihnen jede Chance, wie normale Teenager ihrer Zeit aufzuwachsen. Keine der drei bekommt ein normales Maß an Elternliebe.

Ganz besonders leid tat mir Lydia, erst recht nachdem die Umstände ihres Todes geschildert wurden. Ich hätte es ihr sehr gegönnt, dass es ihr gelungen wäre sich aus diesen Zwängen zu befreien und ihren eigenen Weg zu finden. Aber dann wäre es eben eine ganz andere Geschichte geworden.
Ich finde diese Familenbeschreibung brillant erzählt.