Geheimnisse einer Familie

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Amerika in den späten Siebzigern: James und Marylin Lee leben scheinbar glücklich mit ihren Kindern Nath, Lydia und Hannah zusammen. James ist chinesischer Abstammung und hat sich sein Leben lang ausgestoßen gefühlt. Marylin ist mit ihren honigblonden Haaren und der blassen Haut der Inbegriff einer amerikanischen Schönheit. Es scheint, als hätten sich die beiden über Grenzen und Vorurteile hinweggesetzt, doch Celeste Ng entwirrt die Geheimnisse und Abgründe von Familie Lee nach und nach.

Der Stein kommt mit Lydias Verschwinden ins Rollen. Die Sechzehnjährige verschwindet eines Nachts und wird Tage später tot im nicht weit vom Elternhaus entfernten See aufgefunden. Das Leben der Lees wird auf den Kopf gestellt und all die dunklen Geheimnisse eines jeden Familienmitgliedes kommen ans Licht. Zuerst hört sich das nach einem spannenden Krimi an, doch letztendlich bietet dieser Roman eher ein detailliertes Familienportrait. Natürlich war ich bis zum Schluss gespannt auf die Auflösung der Frage Mord oder Selbstmord?, doch schon nach den ersten Kapiteln hatten mich die Geschichten vom jungen James und der jungen Marylin viel mehr gefangen genommen. Er, immer etwas unbeholfen und unsicher, und sie, ehrgeizig und fest entschlossen Ärztin anstatt "nur" Hausfrau und Mutter zu werden. Letztendlich landen sie in einem Einfamilienhaus mit drei bezaubernden Kindern: Nath ist der älteste, liebt die Astrophysik und kann es kaum erwarten, bald nach Harvard zu gehen. Lydia ist der ganze Stolz der Familie und gewinnt einen Wissenschaftspreis nach dem anderen. Hannah ist die jüngste, ungeplant und -so wie es dem Leser oft erscheint- auch ungewollt und oft vergessen.

Die Charakter werden von Kapitel zu Kapitel detaillierter und bunter gezeichnet. So gut wie jeder bekommt Tiefe, Ecken und Kanten. Mir scheint, dass Hannah dabei ein wenig vergessen wurde, jedoch wird sie auch von ihren Eltern und Geschwistern regelmäßig übersehen. Sie ist jedoch noch sehr klein und ich habe für mich einfach beschlossen, dass sie sich nach dem Ende des Buches noch prächtig entwickeln wird. Ansonsten wird jeder Charakter mal mehr und mal weniger gut beleuchtet, so wie es im Leben auch ist. Das hat mir gut gefallen und ich konnte mir ein immer ausführlicheres Bild der Persönlichkeiten machen, was für mich sogar noch vor die Aufklärung von Lydias Fall rückte. Ich fand die verschiedenen Familienmitglieder und den Nachbarsjungen Jack, der ebenfalls eine große Rolle spielt, sehr interessant und vor allem authentisch.
Ihre Probleme stehen für mich tatsächlich im Vordergrund des Romans. Versteht man sie, versteht man auch die Message.

Zum Schluss noch einige wenige Worte zum Schreibstil: Der ist sehr angenehm und an manchen Stellen sehr bildlich. Ich habe das Buch flüssig lesen können und konnte mir sowohl die Charakter, als auch Haus und Umgebung sehr lebhaft vorstellen.

Fazit:
Das Buch hat mich überrascht, denn es bot mit Lydias Tod nicht nur packende Thriller-Elemente, sondern auch spannende Einzelschicksale. Es geht um das Anderssein und deswegen ausgestoßen zu werden. Es geht auch um ehrgeizige Träume und emanzipierte Frauen, welche sich nicht damit zufrieden geben wollen, hinter dem Herd zu stehen, sondern deren Ziel die Universität ist. Und es geht schließlich um Vertrauen und Ehrlichkeit, besonders innerhalb einer Familie. Nichts ist so wichtig, wie miteinander zu reden und einander zu respektieren. Maximale Punktzahl von mir!