Kunstvoll, aber distanziert

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Jean-Baptiste Andreas Roman Was ich von ihr weiß nimmt sich viel vor: Er erzählt die Lebensgeschichte des Bildhauers Mimo, seine künstlerische Entwicklung, seine Beziehung zur freiheitsliebenden Viola und bettet all das in den historischen Kontext Italiens im 20. Jahrhundert ein. Doch trotz dieser vielversprechenden Ausgangslage gelingt es dem Buch nicht immer, eine fesselnde Erzählung daraus zu machen.

Ein zentrales Problem ist das Erzähltempo. Mit über 500 Seiten zieht sich die Handlung stellenweise erheblich. Insbesondere die detaillierten Beschreibungen, die sicher gut recherchiert sind, dominieren den Text so sehr, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen, allen voran die zu Viola, manchmal zu kurz kommen. Viola wird als faszinierende, unkonventionelle Frau eingeführt, bleibt jedoch oft auf Distanz – sowohl zu Mimo als auch zum Leser. Da der Roman aus seiner Perspektive erzählt wird, bleibt sie eine Figur, die er beobachtet, aber deren innere Welt weitgehend verborgen bleibt. Der deutsche Titel Was ich von ihr weiß scheint genau darauf hinzuweisen: Es ist letztlich nur das, was Mimo von ihr versteht, nicht was sie wirklich ausmacht.

Auch die Liebesgeschichte folgt bekannten Mustern: Ein armer, aber talentierter Künstler trifft auf eine reiche, rebellische Adelige, die sich gegen gesellschaftliche Zwänge auflehnt. Diese Konstellation hätte durchaus Potenzial, doch es fehlt an Überraschungen oder emotionaler Tiefe, die sie über das Klischeehafte hinausheben würden. Die Begegnungen zwischen Mimo und Viola sind oft flüchtig, ihr Verhältnis schwankt zwischen Nähe und Distanz, doch wirklich greifbar wird ihre Verbindung selten.

Ein weiteres Manko ist die Einbettung in die historischen Ereignisse. Zwar wird der Aufstieg des Faschismus thematisiert, doch bleibt er oft eine Kulisse für Mimos persönliche Geschichte, anstatt wirklich in die Handlung integriert zu werden. Während Viola früh die Zeichen der Zeit erkennt, scheint Mimo oft nur reaktiv zu agieren. Hier hätte eine stärkere Auseinandersetzung mit der politischen Dimension der Epoche dem Roman mehr Tiefe verleihen können.

Positiv hervorzuheben ist Andreas Schreibstil. Seine Sprache ist bildhaft und poetisch, ohne ins Überladene abzudriften. Wer sich für kunstvolle Beschreibungen begeistern kann, wird hier auf seine Kosten kommen. Doch wer auf eine packende, emotionale Erzählung hofft, könnte sich an der Langatmigkeit und der distanzierten Figurenzeichnung stören.

Insgesamt ist Was ich von ihr weiß ein ambitionierter Roman mit einer interessanten Grundidee, der jedoch in der Umsetzung nicht immer überzeugt. Die Geschichte verliert sich zu oft in Details und bleibt emotional auf Distanz. Wer sich für das Thema Bildhauerei interessiert und ein Faible für langsame, atmosphärische Erzählungen hat, könnte hier fündig werden – wer jedoch eine fesselnde, tiefgehende Charakterstudie oder eine intensive historische Auseinandersetzung sucht, wird möglicherweise enttäuscht sein.