Wo es dunkel ist, brodelt das Fieber

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owenmeany Avatar

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Die amour fou zweier Exzentriker: so erscheint dieser Roman auf den ersten Blick. Zufällig trifft ein hochbegabter kleinwüchsiger Steinmetz, später ein anerkannter Bildhauer, auf die adlige Tochter einer Familie mit Tradition, die von klein auf ihren gesellschaftlichen Fesseln entfliehen will, indem sie vom Fliegen träumt.

In den etwas spröden Anfang musste ich mich erst einlesen, um die oft nur angedeuteten Fakten auf zwei Zeitebenen einordnen zu können, aber welchen Reichtum sieht man im Laufe der Lektüre vor sich entfaltet, in dem sich Viola und Mimo immer mehr der politischen Umbrüche zwischen den beiden Weltkriegen in Italien bewusst werden - sie schneller, klarer und entschiedener als er, der sich in seiner Naivität und seinem Ehrgeiz opportunistischerweise zuweilen vor den Karren der herrschenden Faschisten spannen lässt. Dabei hatte ich im Hintergrund eine Vorstellung von Oskar Matzerath. Die hochintelligente Viola lässt ihrem jederzeit platonischen Freund eine éducation sentimentale angedeihen, auch indem sie ihn mit Büchern versorgt. Während er in seiner Kunst einen stetigen Aufschwung erlebt, auch wirtschaftlich, muss sie als Frau dauernd gegen die Einschränkungen kämpfen und eine aufgezwungene Ehe ertragen. Einer ihrer Brüder, Stefano, schließt sich den Schwarzhemden Mussolinis an, Francesco endet als Kardinal unter Papst Pius XII.

Das Schicksal treibt Viola und Mimo auseinander und wieder zusammen, sie können nicht mit und nicht ohne einander, aber in den entscheidenden Phasen sind sie an den jeweiligen Weichenstellungen des anderen beteiligt.

Die Zwischentexte raunen von der geheimnisvollen, spektakulären Pietà Vitaliani, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit in dem Kloster verborgen, in dem Mimo schließlich sein Leben beendet. Die damit verbundenen Reflexionen über die Kunst sind kenntnisreich und feinsinnig.

Von der spannenden Liebesgeschichte abgesehen hat mich die lebendige Darstellung der italienischen Historie gefesselt, mit der wir uns in Deutschland nur peripher befassen. Andrea ist eine eindrucksvolle, aufschlussreiche Auseinandersetzung mit der Gesellschaftsgeschichte in einem originell gewählten Beispiel gelungen.