Anspruchsvolle Prosa in einem Rückblick auf ein ganzes Leben

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"Was wir scheinen" ist kompetent geschriebene Biografie-Belletristik, die auf ein entsprechend belesenes Publikum schielt. In der Romangegenwart (1975) reist die Jüdin Hannah Arendt von New York ins Schweizer Tessin, und ihre um ihre Vergangenheit schweifenden Gedanken sind genau so trübe und schwer wie das Regenwetter, dass sie auf der Zugverbindung zwischen Zürich und dem Tessin empfängt. Nicht ganz so leichte Kost, vor allem, weil die Zeitformen im Absatz ab und zu unvermittelt wechseln und so die Perspektive nie ganz auf einem Nenner fokussieren - und genauso gewöhnungsbedürftig wie einige kleine Monologe, die Hannah zu sich selbst absondert und die etwas zu erklärerisch geraten sind.
Gegen Ende der Leseprobe geht es dann ins Jahr 1941 und zur Ankunft der mit ihrem Mann aus Deutschland geflohenen Jüdin in New York. Dieser Teil ist spannend, weil er schöne Einblicke in die Befindlichkeit der damaligen Zeit gewährt und ein historisches Panorama vor einem epischen Hintergrund aufspannt. Da dieser Teil aber sicherlich nicht den Hauptfokus von "Was wir scheinen" ausmachen wird, sollten Histo-Fans nicht unbedingt sofort zuschlagen. Freunde literarischer Gegenwartsprosa machen aber wenig falsch, wenn sie das Thema Hannah Arend interessiert. Für mich reicht der Eindruck hier leider nicht zum Weiterlesen.