Stups und Schnupper

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ismaela Avatar

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Ich mag Romane und ich mag Biografien - was für eine vorteilhafte Kombination bei "Was wir scheinen"; das war mein erster Gedanke, vor allem nachdem ich von "Eichmann in Jerusalem" sehr beeindruckt war. Eine Biografie von Hannah Arendt kam da also gerade recht.

Hildegard Keller beschreibt in Ist- und Rückblenden das Leben der Hannah Arendt etwa zum Zeitpunkt ihrer Flucht aus Deutschland nach Amerika, ihre Beziehungen zu Günter Stern und Heinrich Blücher, die Freundschaften mit Persönlichkeiten wie Jaspers oder Ingeborg Bachmann. Die Abschnitte, die im Präsens geschrieben sind, beziehen sich auf die letzten Aufenthalte in der Schweiz; Arendts zweiter Mann Blücher ist bereits verstorben, und sie möchte noch einmal ins schöne Tessin. Von dort aus lässt sie die Gedanken in ihre Vergangenheit schweifen. Vor allem die Flucht aus Nazideutschland,der Eichmann Prozess in Jerusalem, aber auch das Verhältnis zu Deutschland nach dem Dritten Reich werden hier sehr intensiv beschrieben, aber ohne andere Erlebnisse zu überdecken, wie etwa eine Diskussionsrunde mit einigen Studierenden, oder die Trauerfeier anlässlich Jaspers Tod.

Man merkt die Akribie deutlich, mit der Hildegard Keller recherchiert hat, der Schreibstil ist flüssig und nicht verkopft, die Dialoge mitunter so großartig geschrieben, dass daraus ganze Kapitel hätten geschrieben werden können. Sie bemüht sich, kein Erlebnis bis zur Übergröße aufzublähen, um andere dadurch zu zerquetschen, trotzdem ist die Eindringlichkeit, mit der bestimmte Szenen beschrieben werden, sehr nahegehend.
Die Autorin weist in ihrem Schlusswort darauf hin, dass sich ihr Roman zwar an reale Begebenheiten orientiert, dass viele Sätze, Schriften und Dialoge zitiert wurden, dass aber letztendlich eine fiktive Geschichte entstanden ist, in die sie vieles mit hineingeschrieben hat, was ihrer Fantasie entspringt.
Vielleicht liegt hierin so ein ganz kleines bisschen Unbehagen, was dieses Buch anbelangt - die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion können wohl nur eingefleischte Arendt-Kenner*innen erkennen, und deshalb ist die Eingrenzung der Geschichte - Biografie? Roman? - mitunter ein bisschen schwierig. Auch sind vor allem zu Anfang die vielen Namen und Orte leicht überwältigend, da hätte ein Personen- und Ortsregister bestimmt nicht geschadet.

Doch alles in allem habe ich das Lesen dieses Buches sehr genossen, und zum Schluss hatte ich das starke Bedürfnis, mich mit Hannah Arendt lange zu unterhalten. Schade, dass sie Raucherin war - das wäre dann natürlich nichts für mich gewesen.

Lesen!