Das verlorene Ich

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dreamworx Avatar

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Die Tätowiererin Teresa Kempf möchte ihren alten Jugendschwarm auf eine Kaffee treffen, um gemeinsam in alten Zeiten zu schwelgen. Aber dazu kommt es nicht, denn Teresa erwacht nach einem unglücklichen Sturz im Krankenhaus und kann sich an nichts mehr erinnern außer ihrem letzten Treffen mit Henry Bayer, was allerdings schon fünf Jahre zurückliegt. Teresa versteht nicht, warum sie nun als Galeristin arbeitet und nicht mehr in ihrem Tattoo-Studio und weshalb sie nicht mehr eine Wohnung mit ihrer Schwester teilt, sondern in einem schicken Wohnung, die so gar nicht zu ihr passt. Noch schlimmer: der Typ in ihrer Bleibe ist ihr gänzlich unbekannt. Teresa will ihr Leben zurück, dafür muss sie herausfinden, wer sie eigentlich ist, was in den letzten fünf Jahren geschah und was zwischen ihr und Henry passiert ist, dass er sich so von ihr abgewendet hat…
Kristina Moninger hat mit „Was wir sehen, wenn wir lieben“ einen sehr unterhaltsamen, emotionalen Roman vorgelegt, der den Leser schon mit seinem Prolog sofort in die Seiten saugt und bis zum Ende nicht mehr loslässt. Der flüssig-leichte, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser sich schnell an Teresas Fersen heften, wo er gemeinsam mit ihr nach und nach die vergangenen fünf Jahre aufzuarbeiten sucht. Mit wechselnden Perspektiven ermöglicht die Autorin dem Leser, nicht nur Teresas Vergangenheit Stück für Stück kennenzulernen, sondern darf auch Henrys Erlebnisse sowie seine Gedanken- und Gefühlswelt erkunden. Die teilweise unterschiedlichen Sichtweisen ein und derselben Situation sind spannend zu beobachten und wirken nach. Zudem bleibt man als Leser nicht unbeteiligt, denn für beide macht sich Verständnis breit, während man hofft, dass diese zwei Seelen, doch endlich noch zueinander finden. Dabei lässt die Autorin ihre Protagonisten nicht nur Trübsal blasen, sondern streut mit einigem Witz humorvolle Passagen ein, die ernste Situationen gut auflockern. Am spannendsten jedoch ist herauszufinden, wie Teresa sich so völlig verändern konnte, dass ihr gesamtes enges Umfeld sich von ihr abgewandt hat. Allein die Tatsache, dass man ein Teil seines Lebens durch einen Sturz für einige Zeit völlig verloren hat, jagt dem Leser Gänsehaut über dem Rücken, doch bei Teresa sind es gravierende Dinge, die sie anderen entfremdet haben. Die zwischenmenschlichen Beziehungen lässt Moninger wunderbar in ihre Handlung miteinfließen und gibt ihrer Geschichte dadurch etwas Persönliches und Greifbares.
Die Charaktere sind liebevoll und facettiert in Szene gesetzt, ihre glaubwürdigen menschlichen Ecken und Kanten wirken authentisch und gestatten dem Leser, ihnen sehr nahe zu kommen, was ein Mitfühlen und –fiebern leicht macht. Teresa ist eine feinfühlige, künstlerische Seele, freundlich, offen und mit einer sensiblen Ader ausgestattet. Gleichzeitig ist sie verwirrt, verunsichert und voller Zweifel, doch besitzt sie ein Kämpferherz, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Henry ist nicht nur ein echter Kumpel, er ist intelligent, hilfsbereit, bodenständig und hat das Herz am rechten Fleck. Schwester Sophie ist für Teresa ein Fels in der Brandung, die geradeheraus sagt, was sie denkt. Aber auch Celine, Carla und einige andere Protagonisten mischen in dieser Handlung kräftig mit.
„Was wir sehen, wenn wir lieben“ ist eine Geschichte, die tatsächlich so passiert sein könnte. Jeder Mensch mit Amnesie steht wohl vor ähnlichen Problemen. Ein Roman voller Liebe, Freundschaft und Familie, vor allem aber eine Suche nach dem eigenen verlorenen Ich. Absolute Leseempfehlung!