Bestandsaufnahmen einer Generation

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zauberberggast Avatar

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Wenn man nach dem Lesen eines jeden Kapitels das Buch kurz zuschlägt um innezuhalten und um "wow, das ist so gut" zu denken, dann hat das Buch in meinen Augen seine 5 Sterne verdient.

Was soll ich sagen? Dieser Roman bildet die Lebenswirklichkeit der Generation von modernen Frauen, die in den mittleren 1970er Jahren geboren wurden, 1:1 ab, legt den Finger in die Wunde ihrer Befindlichkeiten. Drei Frauen aus England, die sich kennen, Freundinnen waren bzw. irgendwie immer noch sind, werden unter dem Brennglas der auktorialen Erzählinstanz auf ihre gegenwärtigen Unzulänglichkeiten hin untersucht. Ihre momentane Existenz wird mit ihrer vergangenen verglichen (es gibt zahlreiche kursivierte Rückblenden). Die Wünsche, Träume und Vorstellungen, die sie abgelegt haben, treten wie ein offener Bruch aus dem Körper ihres Ichs hervor. Alle drei Frauen sind zum Zeitpunkt der Haupthandlung im Jahr 2010 Mitte 30, also in der “Rushhour des Lebens”, in der eigentlich alles unter Dach und Fach gebracht werden will: Kinder, Karriere, Haus und Garten, gemachte Erfahrungen - alles soll und muss perfekt sein, wenn es nach den gesellschaftlichen Vorstellungen geht. Aber dass diese nicht immer mit der Realität einhergehen und das Leben oft diametral entgegengesetzte Verläufe zu unseren Erwartungen (das Buch heißt im Original "Expectation"), nimmt, zeigt Anna Hope anhand ihrer drei Protagonistinnen auf.

Cate ist die Intellektuelle, die ihren Oxford-Cum-Laude-Abschluss an der Tür ihres Reihenhauses in der Vorstadt von Canterbury abgelegt hat. Sie ist frischgebackene Mutter eines kleinen Jungen und hadert mit den sich überschlagenden Ereignissen ihres momentanen Lebens: neuer Partner, Heirat, Kind, Haus, Umzug aus der Metropole ins Suburbane - alles in weniger als 2 Jahren. Und da ist dann auch noch eine Person aus ihrer Vergangenheit, eine verflossene Liebe, der sie nachtrauert.

Hannah ist die Karrierefrau, bei der eigentlich alles perfekt läuft. Ein sehr gut bezahlter Job in London, schöne Wohnung, ein langjähriger Partner und seit kurzem Ehemann. Trotz dem scheinbar perfekten Äußeren ihres Lebens droht sie aber an ihrem unerfüllten Kinderwunsch zu verbrechen.

Lissa ist die unkonventionelle Schauspielerin, die im Callcenter und als Aktmodell arbeiten muss, weil es mit der großen Karriere nicht geklappt hat. Ein gesetztes und spießiges Leben mit Haus und Kindern ist für Lissa nicht vorstellbar, aber dennoch sucht sie nach Konstanten.

Alle Figuren sind und wirken so echt, ihre Probleme sind exakt die, die Frauen in ihren mittleren Dreißigern eben haben - ich weiß wovon ich rede, gehöre ich doch selbst dieser Spezies an.

Danke Anna Hope für dieses wundervolle Portrait einer Generation, das zum Nachdenken über das eigene Leben und zum Innehalten anregt. Dass die Autorin übrigens auch noch mein Lieblingsstück von Tschechow, Onkel Wanja, in die Erzählung mit einbaut, hat mich vollends für das Buch eingenommen: 5 Sterne!