Mit dem Leben ins Reine kommen

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r.e.r. Avatar

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„Es gibt eine lange Liste all dessen, wofür sie dankbar sind. Sie sind dankbar für all die kleinen Freuden, die mittlerweile gar nicht mehr so klein erscheinen. Für einzelne Augenblicke. Sie sind dankbar für das, was sie haben. Sie haben es verstanden und sind demütig geworden.“
In Anna Hopes Roman „Was wir sind“ begleiten wir drei Frauen ein Stück ihres Lebensweges. Es sind keineswegs demütige Frauen. Sie begegnen uns an einem schönen Frühlingsmorgen in London Anfang der 2000er Jahre. Mitte zwanzig, schön, klug, unabhängig, bereit sich dem Leben zu stellen und sich zu beweisen. Hannah, die Vernünftige. Cate, die Planlose. Und Lissa, die Schöne. „Sie haben noch Zeit zu werden, wer sie später einmal sein wollen.“
Zehn Jahre später, hat das Leben für alle drei nicht den gewünschten Verlauf genommen. Hannah verzweifelt an ihrem nichterfüllten Kinderwunsch und setzt damit Ehe mit Nathan aufs Spiel. Cate ist Hals über Kopf Mutter und Ehefrau geworden und findet sich nur schwer in diese Situation hinein. Für Lissa hat sich der einst so verheißungsvolle Start in eine erfolgreiche Schauspielkarriere nicht erfüllt.
Anna Hope schont ihre Figuren nicht und geht gleichzeitig liebevoll mit ihnen um. Ihre Schwächen, Fehler, Eigenheiten werden bloßgelegt. Der durchdringende Röntgenblick führt tief ins innerste. Gleichzeitig wird die Schärfe der Beobachtung durch die Sprache gemildert und gleichzeitig hervorgehoben. Es sind bemerkenswerte Sätze, die der Autorin gelingen. Schmerz, Schuld, Versagen, Verrat, Lust, Zweifel und Zuversicht. Für alles findet sie die richtigen Worte: „Sie ist dankbar für die losgelösten Tage zwischen den Jahren. Das Pendel schwingt nicht mehr, die Zeit wurde angehalten und zusammengestaut, und sie ist hier, geborgen im Windschatten des Jahres.“ Was für eine wunderbare Beschreibung dieser Zeit außerhalb der Zeit!
Am Ende sind die drei Frauen „geborgen“. Nicht im Windschatten des Jahres, sondern in ihren Leben. Sie haben sich verloren und wieder gefunden. Anna Hope's Roman heißt im Original „Expectation“. Ein berühmter Roman von Charles Dickens heißt „Great Expectations“. Hier wie dort treffen sich die Protagonisten am Ende dort, wo der Roman begann. Hier wie dort können sich die Protagonisten am Ende verzeihen. Finden Frieden. Sind mit sich und dem Leben im Reinen.