Eine ungewöhnliche Idee mit einem Ende, das mich ratlos zurücklässt

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christina19 Avatar

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In seinem Debütroman, der für den Deutschen Literaturpreis nominiert ist, bringt uns Luca Kieser einen Riesenkalmar näher. Als dieser ein Tiefseekabel berührt, beginnen seine Tentakel zu erzählen. Sie berichten zunächst von den Lebensgeschichten einer jungen Praktikantin auf einem Frosttrawler sowie einer älteren Frau, die für einen Geheimdienst in der Antarktis arbeitet. Durch einen Zufall treffen sie aufeinander, wobei dies, wie man noch erfährt, nicht die einzige Verbindung im Leben der beiden ist... Die Tentakel erzählen außerdem von Schriftstellern, die sich dem vermeintlichen Ungeheuer aus der Tiefsee gewidmet haben: Jules Verne, Peter Benchley und schließlich ein junger Autor der Gegenwart, der wiederum die Erlebnisse mit seinem eigenen „Tentakel“ schildert.

Die Idee, ein Tier bzw. dessen Gliedmaßen erzählen zu lassen, ist ebenso außergewöhnlich wie grandios. Der Autor schreibt dabei jedem Tentakel eine Eigenschaft zu: vom Armen über den Süßen bis zum Bisschen-Schüchternen. Jeder von ihnen vermittelt seine Geschichte, wobei die unterschiedlichen Erzählstränge und die Vielzahl an Figuren für mich mitunter etwas verwirrend waren. Sehr gelungen finde ich die Zusammenhänge, sie sich im Laufe des Romans auftun und dafür sorgen, dass sich alles mehr und mehr zu einem Gesamtbild zusammenfügt. Manche Stellen vermochten es, mich in ihren Bann zu ziehen, während sich andere mir nicht erschlossen und mich entsprechend ratlos zurückließen. Daher bin ich nun auch etwas nachdenklich über die Kernaussage des Romans, insofern es denn eine gibt: In meinen Augen geht es wohl darum, ein Tier wie den Kalmar nicht zum Monster zu degradieren, sondern als das faszinierende Wesen wahrzunehmen, das er ist. Es geht aber ein Stück weit auch darum, falsche Scham abzulegen, offen über alle erdenklichen Themen zu sprechen, insbesondere mit Sexualität aufgeschlossen umzugehen.
Zuletzt einige Sätze zum Aufbau des Buches, den ich als sehr besonders empfinde: Kieser verwendet in seinem Roman eine Reihe an Paratexten wie Fußnoten mit Anmerkungen oder Verweisen sowie einen Anhang mit Tagebucheinträgen und einem Familienstammbaum. Beim Lesen wird man aktiv aufgefordert, vor- oder zurückzublättern und in anderen Kapiteln zu lesen. Zum besseren Verständnis der Handlung sollte man diesen Anweisungen folgen.