Eine Nacht voller Grenzüberschreitungen

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Dies ist kein Wohlfühlbuch. Man liest sich durch diesen Roman wie durch ein Labyrinth verwinkelter schmaler Gassen, während ständig der Boden wegzukippen droht. Das anfänglich langsam ansteigende Summen wird schnell zu einem Gefühl permanenter Schieflage. Unaufhaltsam geht es weiter, während man hat keine Ahnung hat, wohin eigentlich.

Ayami hat ihren letzen Arbeitstag an einem Hörtheater in Seoul, bevor es für immer schließt. Sie weiß nicht, wohin das Leben sie führen wird, nach dieser nass-heißen Nacht, die gefüllt ist mit Freunden, Fremden, Doppelgängern und Geistern, die sich ineinander auflösen.

Mantraartige Wiederholungen und Überschneidungen verschieben die Grenzen zwischen Realität und Fiktion ins Unerklärbare. Befinden wir uns in einem Roman, einem Film, einer reality-tv-show?

Es ist schwierig, etwas Genaues zum Inhalt dieses Romans zu formulieren. Sicher sagen kann ich nur eines: diesen Roman wie eine klassische Erzählung im Sinne des Entwicklungsromans begreifen zu wollen, wäre falsch. Natürlich gibt es eine Handlung. Was mir aber besonderes oft bei Rezensionen auffällt, ist, dass viele Leser enttäuscht sind, wenn sie keine runde, zuende erzählte Geschichte mit Problemstellung und Auflösung erwartet. Diese gibt es hier nicht, vieles bleibt unklar und assoziativ, wie ein Fiebertraum.

Dafür erlebt man eine atmosphärische Dichte, die nachhallt, wenn man bereit ist, dieses kurze Buch als eine Art Gedicht anzunehmen. Es zeigt (wie zum Beispiel bei Han Kangs DIE VEGETARIERIN) eine andere Seite des Bildes vom technologisierten, hippen, reichen und immer jungen Seoul, das man sonst oft in den Medien findet. Eine gar nicht durchschnittliche Geschichte über eine durchschnittliche Frau.