Surreal - halluzinierend - fantastisch

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ekna Avatar

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"Weiße Nacht" beginnt mit dem letzten Tag Ayamis im einzigen Akustiktheater Seouls, bevor das Theater aufgrund mangelndem Interesse seitens der Öffentlichkeit geschlossen wird. Komplett perspektivlos zieht sie die darauf folgende Nacht mit dem Theaterdirektor durch die kochend heißen Gassen Seouls, durch eine bizarre Welt, deren Grenzen von Realität und Fiktion verschwimmen.

Was für eine Stimmung hier herrscht! Der Roman liest sich wie ein surrealer Traum, ist diffus, magisch, halluzinierend, wunderlich. Oder wie es Ayami formuliert: "Es ist, als sei man in einem Traum. [...] Wohin gehen wir?" (S.65). Tatsächlich weiß man nicht, wohin es geht, man kann sich ausschließlich von den Protagonisten und deren Gedanken durch diesen beinahe luftleeren Raum mitziehen lassen - eine gewisse Richtung lässt sich kaum erahnen.
Begebt euch mit den Protagonisten auf Streifzüge durch eine vollkommen schwarze und verlassene Stadt, in der Dinge nur schemenhaft erkennbar sind, flimmernde Träume und Visionen aufleuchten, wo Zeit und Realität verschmelzen, Doppelgänger auftreten und man nie weiß, wer wirklich wer ist. Lasst eure Gedanken zerfließen, lasst euch auf das Spiel mit den Darstellern ein, gebt euch dem Sog hin. Die Sprache ist hochwertig, aber zugänglich - doch das Verstehen ist fordernd. Bestimmte Phrasen und Wörter werden kontinuierlich wiederholt, stellen aber immer wieder neue Sinnzusammenhänge her. Die Handlung, in kleinen Happen serviert, dehnt sich aus und zieht sich pulsartig wieder zusammen. Die Handlungsfetzen scheinen Symbiosen zu bilden, und trennen sich kurz darauf doch wieder, schweifen ab - alles ist in Bewegung und steckt zugleich irgendwie fest. Ich weiß nicht, wie man dem Buch gerecht werden könnte, ich weiß nicht, wie ich das Buch sonst beschreiben könnte. Es war ein total außergewöhnliches Lesevergnügen, ein abstraktes Kunstwerk in Buchform, ein verrücktes Buch - lasst euch darauf ein. Leseempfehlung!