Traumcollage in der Hitze Seouls

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In „Weiße Nacht“ begleiten die Leser*innen 5 Protagonist*innen durch die Hitze Seouls. Es sind eine Schauspielerin, die zwei Jahre lang im einzigen Hörtheater Seouls assistierte, der (ehemalige) Direktor des Hörtheaters, eine Deutschlehrerin, ein deutscher Schriftsteller und ein koreanischer Dichter, der noch nie ein Gedicht verfasst hat. Sie alle verbindet eine gewisse Einsamkeit und Ziellosigkeit.
Weiße Nacht wurde als „flirrender Fiebertraum“ angekündigt. Diese Beschreibung fängt die Atmosphäre sehr gut ein. Die Szenen folgen der Logik eines Traums: Vertrautes existiert neben Befremdlichem. Der Text ist voller Sprünge, die Sprache häufig bildlich, die Dialoge sind zuweilen seltsam, nichts scheint greifbar. Den Protagonist*innen haftet etwas Unwirkliches, Geisterhaftes an. Immer wieder verschwimmen Zeiten und Perspektiven.
Bae Suahs Erzählweise ist durch Wiederholungen geprägt, die beim Lesen stutzig machen, einen Déjà-vu-Effekt auslösen und auffordern Verbindungen herzustellen. Aber auch diese Verbindungen entziehen sich einer Logik und lassen sich, wenn überhaupt, eher intuitiv begreifen. Zu den immer wiederkehrenden Elementen gehören ein Radio, das sich selbst an und abschaltet, um dann mehr oder weniger dieselbe Botschaft zu übermitteln, Gerüche, dasselbe Kleidungsstück, eine Geste, gleißend helle Objekte, ein pockennarbiges Gesicht und viele weitere. „Weiße Nacht“ ist voller Andeutungen, bleibt aber vage und geheimnisvoll. Immer wieder wird auf „Die Blinde Eule“, ein Werk des iranischen Schriftstellers Sadegh Hedayat verwiesen. Der deutsche Schriftsteller, der nach Seoul reiste, um einen Kriminalroman zu schreiben, erläutert in einer Szene seine Arbeitsweise wie folgt: „Wenn ich ein Buch schreibe, plane ich verschiedene alternative Versionen und versuche, so viele wie möglich davon aufzuschreiben.“ (S. 146). „Weiße Nacht“ liest sich fast so als hätte Bae Suah genauso gearbeitet, keine Auswahl getroffen und alle Versionen in einer Collage angeordnet.
Ihr Roman lässt sich flüssig lesen, fasziniert und irritiert. Ich habe mich irgendwie in diesen Traumsequenzen verloren. Nach Beendigung der Lektüre herrscht bei mir vor allem Ratlosigkeit. Ich weiß nicht so recht, was ich mit der Lektüre und den Traumbildern anfangen soll. Vielleicht fehlt mir dazu das kulturelle Hintergrundwissen. Ich fühle mich wie nach einem rätselhaften Traum, der ohne starke Emotionen dahinplätscherte und dadurch für mich auch leider keine Bedeutung erlangen konnte.