Moderner Familienroman, der aktuelle Lebenswelten beschreibt

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leukam Avatar

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Dieo und Zazie sind zwei Schwarze Schwestern. Dieo, die Ältere, lebt gut situiert mit Mann und drei Söhnen im trendigen Frankfurter Nordend. Sie arbeitet als Psychotherapeutin, ihr Mann ist Mitarbeiter in einem florierenden Finanz-Start-Up. Zazie, mit Ende Zwanzig ein paar Jahre jünger als ihre Schwester, hat gerade ihr Masterstudium hinter sich gebracht und jobbt in einem Jugendzentrum. Das teure Frankfurt kann sie sich nicht leisten, sie wohnt im günstigeren Offenbach. Ihre Mutter, ebenfalls Psychotherapeutin, hat die beiden Töchter alleine großgezogen, nachdem sie sich von ihrem Mann, einem Senegalesen getrennt hatte.
Während Dieo sich überfordert fühlt von ihren Aufgaben als Mutter, Hausfrau und berufstätiger Frau ( „ Warum war Sysiphos eigentlich ein Mann, wenn doch die Erfahrung der sich ewig wiederholenden Überlastung eine typisch weibliche war?“), arbeitet sich Zazie an den Ungerechtigkeiten der Welt ab. Überall sieht und erlebt sie die Anzeichen und Auswirkungen von Rassismus, Sexismus und patriarchalen Strukturen. ( Es war, als wäre in ihr ein Scanner eingebaut, der jeden Satz aufnahm und durch ein Diskriminierungs- Prüfsystem laufen ließ.“)
Die Autorin Yande Seck hat in ihre beiden Protagonistinnen viel aus ihrer eigenen Biographie einfließen lassen. Sie selbst ist in Heidelberg geboren und in Frankfurt aufgewachsen. Die Mutter ist Deutsche, der Vater stammt aus dem Senegal. Sie arbeitet als Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche und lebt mit Mann und Kindern in Offenbach.
Dass die Autorin die Lebensumstände und die Gesellschaftsschicht ihrer Figuren gut kennt, spürt man. Sehr authentisch beschreibt sie das urbane und bürgerliche Milieu mit ihren „Codes“ und sprachlichen Mustern.
Yande Seck wechselt kapitelweise die Erzählperspektive. Dabei nimmt sie nicht nur die der beiden Schwestern ein, sondern lässt auch Simon, Dieos Ehemann, seine Sichtweise darstellen. Simon versucht als „ mittelalter weißer Mann“ alles richtig zu machen. Doch seine Arbeit erfordert viel Zeit und Engagement, so dass er nicht immer der Partner und Vater sein kann, der er gerne wäre.
Die leicht überzeichneten Nebenfiguren lassen schmunzeln. Gerade die Elterngeneration entspricht so ganz dem Bild allzeit engagierter Alt- Linker. Da die Psychotherapeutenmutter, die beständig ihre Töchter analysieren muss. Da die Mutter von Simon, die darunter leidet, dass ihr Sohn in seinem Job so richtig gut Geld verdient. Hatte sie sich doch gewünscht, dass ihre Kinder „ den Drang haben, die Welt zu verändern, stattdessen…“
Entgegen den Erwartungen, die der Klappentext weckt, steht die Reise in den Senegal zur Trauerfeier für den plötzlich verstorbenen Vater nicht im Zentrum des Romans. Erst im zweiten Drittel des Buches werden die Schwestern in die frühere Heimat ihres Vaters aufbrechen. Trotzdem spielt diese Reise eine wichtige Rolle für die Frauen, besonders für Dieo, für die es die erste Begegnung mit der dortigen Verwandtschaft ist. Hier erlebt sie eine ganz andere Form von Familie; gleichzeitig bedeutet es für sie eine Auseinandersetzung mit dem afrikanischen Teil ihrer Identität.
Der Titel verweist nicht auf eine romantische oder meteorologische Symbolik, sondern meint jene weißen Flecken auf den Fingernägeln, die man auch „ weiße Wolken“ nennt. Sie sind nicht, wie vielfach angenommen, Zeichen von Kalziummangel, sondern sind Überbleibsel von kleinen Verletzungen in der Nagelstruktur. Im Roman geht es also um Verletzungen und Einwirkungen, die ein Gesellschaftssystem auf die Identität eines jeden hat. „…dass Verletzungen uns zu dem Menschen machen, der wir sind.“ „ Viele winzige Verletzungen, die unseren Charakter formen.“
Yande Seck überzeugt mit einem genauen Blick und pointierten Dialogen. Ihr Text ist gespickt mit Anglizismen, einer woken Sprache und Begriffen aus der Psychoanalyse. Das macht ihn sehr gegenwärtig.
Neben den schon erwähnten Themen wie Rassismus und Sexismus verhandelt der Roman auch noch Fragen zu Frauen- und Männerbildern, sowie Mutterschaft und Vatersein. „ Übermächtige Mütter und abwesende Väter gehören zusammen.“
Auch wenn ich als alte weiße Frau aus der deutschen Provinz nicht zur eigentlichen Zielgruppe gehöre, so habe ich mich mit dem Buch doch bestens unterhalten gefühlt. Ein kurzweiliger moderner Familienroman, der aktuelle Lebenswelten beschreibt. Man darf nach diesem Debut gespannt sein auf weitere Bücher der jungen Autorin.