Annika die Ehefrau, nicht die Journalistin

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karschtl Avatar

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Dies ist bereits mein 4. Marklund-Roman. Und obwohl er mir recht gut gefallen hat, und spätestens in der 2. Hälfte auch sehr spannend wurde, war er von diesen 4 doch der Schwächste. Ganz einfach aus dem Grund, weil Annika ihre journalistische Stärke und ihre gute Spürnase hier so gut wie gar nicht entfalten konnte. Sie ist voll und ganz mit der Entführung ihres Mannes beschäftigt - die Krimigeschichte in Stockholm um die erstochenen Frauen ist wirklich nur eine Rangeschichte, die mich als Leser leider auch kaum berührt + interessiert hat. Dafür war einfach zu wenig Raum, die Opfer blieben vollkommen gesichtslos, die 'Aufklärung' erfolgte ohne dass man das wirklich nachvollziehen konnte weil die Ermittlungsschritte einfach fehlten.

ACHTUNG, es folgen ein paar leichte, versteckte Spoiler!
Die Entführungsgeschichte allein war aber auch raumfüllend genug. Interessanterweise wurde ja die Geschichte, sofern der Leser Annika verfolgte, in der 3. Person Singl. geschrieben. Thomas Sicht der Dinge hingegen aus der 1. Person.  Diese Technik erlaubte dem Leser einen Informationsvorsprung vor Annika, wir wussten vor ihr was passiert war und ob er noch lebte. Im letzten Drittel des Buches hören die Passagen um Thomas einfach auf, was natürlich die Spannung erhöht weil sich der Leser fragt wieso nun keine Erlebnisse mehr von Thomas geschildert werden.

Annikas und Thomas Beziehung war ja bereits in den vorangegangenen Büchern oft Thema, hier nimmt es im Grunde den ganzen Roman ein. Wobei Annika bei all ihren Überlegungen, wie das Drama wohl ausgehen mag, nie etwas in der Richtung erwähnt ob sie ihn liebt oder nicht. Und dann ist da ja noch Jimmy Halenius, der tagelang in ihrem Schlafzimmer arbeitet und dem sie unweigerlich näher kommt. Wobei ich diesen Teil doch recht komisch fand. Selbst wenn ich Probleme in der Beziehung mit meinem Mann hätte, könnte ich in einer solchen Situation wohl kaum irgendwelche Gedanken an einen potentiellen anderen Mann verschwenden. Aber andererseits: ich war auch noch nie in einer solchen Ausnahmesituation, und jeder reagiert wohl auch anders. Und ich stecke ja auch nicht drin in der Beziehung zwischen Thomas und Annika. Der Teil mit ihrer Versöhnung und die Zeit in den USA, wie sich ihre Beziehung mittlerweile entwickelt hat, all das spricht Marklund nur am Rande an, aber es gibt keinen Roman, der diesen Teil behandelt. Dabei wäre gerade das USA-Jahr sicher ein interessanter Stoff für einen weiteren Roman um Annika Bengtzon gewesen. Vielleicht war es zu kompliziert zu recherchieren, wie die journalistische Arbeitsweise dort normalerweise aussieht? Oder er wird noch nachgeschoben? Die ersten Romane um Annika kamen ja auch nicht in der chronologischen Reihenfolge heraus.

Was mir inhaltlich stark aufgefallen ist: Annika ist bei der Entführung weitesgehend allein gestellt. Die Verhandlungen mit den Erpressern übernimmt zwar ein Chef von Thomas, aber wohl eher aus persönlichen Gründen als aus beruflichen. Da gibt es anscheinend keinerlei Unterstütung von der Regierung (besonders hinsichtlich Lösegeld und den logistischen Dingen wie Flug etc.), die für Thomas ja arbeitet - und schließlich ist er auch nicht während eines Privaturlaubs entführt worden sondern während einer Dienstreise. Da hätte ich mir deutlich mehr erwartet.
Allerdings schreibt Marklund in ihrer Danksagung auch recht deutlich, dass sie keine Ahnung hat wie die Regierung Schwedens in solch einem Entführungsfall reagieren würde und sie dies absichtlich nicht recherchiert hat. Denn hätte sie geschrieben, dass es da volle Unterstützung gäbe - selbst wenn es nur Fiktion wäre - könnte sich dies bei einem potentiellen Entführungsfall womöglich negativ auswirken und das Lösegeld nur noch weiter in die Höhe treiben. Nach dieser Erklärung war ich dann auch wieder besänftigt.

Eine andere Sache wird oft deutlich: Annika ist im sozialen Umfeld eher ein Einzelkämpfer, ohne Familie und Freunde, auf die sie sich in Notsituationen verlassen könnte - mit wenigen Ausnahmen. Sehr negativ fällt hier ihre Schwiegermutter auf, deren Kind ja immerhin vermisst wird aber die anscheinend dennoch lieber Dinnerparties gibt statt sich in dieser Zeit mal um ihre Enkelkinder zu kümmern. Das ist für mich komplett unfassbar. Annikas eigene Familie ist aber auch keine wesentlichere Unterstützung, und ihre älteste Freundin Anne enttäuscht mich in diesem Buch ebenfalls sehr. Allein Berit (und sogar Sophia!) erweisen sich als Retter in der Not.

Dass Marklund in ihren Roman sehr gesellschaftskritisch ist, ist nicht neu. Diesmal fokussiert sie sich besonders auf die Lage in Ostafrika. Der Völkermord in Ruanda wird mehrmals angesprochen, und auch die heutige Situation der Leute bzw. wie die EU auf die Lage dort reagiert. Marklund selbst ist Unicef-Botschafterin und ihr liegt dieses Thema offensichtlich auch sehr am Herzen. Zumindest möchte sie das Bewusstsein ihrer Leser wecken. Ob sich diese dann weiter damit beschäftigen sei einmal dahin gestellt.

Das Ende bleibt zwar offen, aber im Grunde kann man sich schon vorstellen, wie es im nächsten Roman weitergehen wird. Hoffentlich dann auch wieder mit einem Fall, an dem sich Annika so richtig die Zähne ausbeißen kann und wir wieder mitfiebern.

Noch eine kurze Anmerkung zum Titel: nach den ersten paar Seiten dachte ich, er würde sich eindeutig auf die ermordete Frau beziehen und der Fall, der sich daraus entwickelt. Nachdem dies aber so einen kleinen Teil des Buches einnimmt wurde hier entweder a) ein völlig falscher Titel gewählt, und der Titel-Aussucher hat auch nur die ersten 20 Seiten gelesen oder b) er bezieht sich vielleicht doch noch auf etwas anderes. Kann es sein, dass mit 'weiß' eher die Hautfarbe der Geiseln gemeint ist, bzw. die der Europäer (und Amis?), die die Entführer ja wohl nicht besonders leiden können und am liebsten tot sehen würden? Ich weiß es nicht, aber es macht Spaß über so einen Buchtitel auch mal ein bißchen nachdenken zu können und ihn für sich zu interpretieren.