Die letzte Tour...

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cracklinrosie Avatar

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Edith und Christel, beide um die 70, lernen sich während einer Reha-Maßnahme am Meer kennen. Erst hat es den Anschein, als wären die rustikale Berlinerin Edith und die empfindsame norddeutsche Kleinstädterin Christel in gar keinem Fall zu irgendeinem Zusammenspiel zu bekommen. Die erste Begegnung verläuft jedenfalls alles andere als glücklich. Die harmonieliebende Christel lässt jedoch nicht locker und nach ein paar Tagen kommen die Beiden doch recht gut mit- bzw. nebeneinander aus. Einige Zeit nach der Reha macht Christel Edith ein Angebot, dass diese wider erwarten annimmt: Sie lädt sie ein auf ihre Kosten nach Husum zu kommen, um sie zu besuchen. Noch ahnt Edith nicht, was aus diesem kurzen Besuch werden soll...

Zunächst möchte ich einwerfen, dass der Text und die Aufmachung des Bucheinbandes etwas irreführend ist. Es wird der Eindruck eines Roadtrips per Bus erweckt, was absolut nicht zutrifft. Das angebliche "Abenteuer", das sie quer durch Deutschland führen soll, führt genau genommen in eine einzige Stadt - allenfalls in 2 Städte, wenn man die Fahrt zu Edith nach Berlin mitrechnet, weil Christel dort noch niemals war. Die Fahrt findet auch nicht per Bus statt, sondern per Bahn bzw. Auto. Der Begriff "Abenteuer" weckt auch gewisse Assoziationen beim Lesenden. Davon ist jedoch die Story ziemlich weit entfernt. Aber natürlich ist für 70jährige ein Abenteuer auch etwas anderes als für einen deutlich jüngeren Menschen.
Eigentlich geht es in dem Buch ohnehin nicht um irgendein Abenteuer, sondern eher um die Frage, wie viel Eigenständigkeit und Entscheidung man älteren oder kranken Menschen noch zubilligen kann, darf oder sollte. Darf nicht jeder Mensch eigentlich selbst entscheiden, wo und ggf. auch wie sein Leben enden soll?
Und es geht um die Frage, wie viel Harmonie bzw. Auseinandersetzung im menschlichen Miteinander wirklich nötig sind. Die eine Protagonistin steht recht stabil in den 4 Wänden ihrer Mietwohnung, wenn man von ihrem Sturz absieht, der ihr neue Hüften einbrachte. Sie hat nicht viel Geld, ist am liebsten alleine und kümmert sich eigentlich auch nicht um irgendwelche anderen Leute. Die Verletzlichkeit durch den Unfall macht ihr jedoch bewusst, dass sie ziemlich alleine dasteht - und sei es noch so stabil und unabhängig.
Die andere hingegen ist mehr als verunsichert. Sie ist todkrank, will aber partout nicht aus ihrem viel zu großen Häuschen ausziehen und fühlt sich überrumpelt von ihrer Tochter und dem Exmann. Da sie Auseinandersetzungen und klare Worte scheut geht sie den für sie einzigen Weg, den sie sieht: Sie flieht, um die unvermeidliche Auseinandersetzung mit ihrer Tochter aufzuschieben. Sie fühlt sich verplant und wie entmündigt.
Die beiden Charaktere sind hervorragend heraus gearbeitet. So gut, dass ich Edith von Grund auf unsympathisch empfunden habe. Die gern als typisch deklarierte Berliner Schnauze, die es einfach nicht schafft, Fremden gegenüber höflich und freundlich zu begegnen. Die Patzigkeit mit fehlender Anbiederung gleichsetzt.
Die Story an sich ist abenteuerarm, was mich jedoch nicht sonderlich störte. Das Buch liest sich hervorragend und wenn man keinen Abenteuer-Roman erwartet, sondern eher ein Buch mit etwas Tiefgang, dann wird man hier nicht enttäuscht. Eine Thematik, die irgendwann auf jeden von uns zukommt. Sei es bei den Eltern oder bei einem selbst. Wir werden ja schließlich alle nicht jünger...