Ein schleichender Prozess

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cynthiam Avatar

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Dieses Buch funktioniert einfach fantastisch als Hörbuch. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es durchgezogen hätte, wenn ich es hätte selbst lesen müssen. Aber als Hörbuch hat es mir ausgesprochen gut gefallen, was nicht zuletzt an der sehr angenehmen Stimme und dem kontinuierlichen Erzähltempo des Sprechers lag. Ein Buch über die Tücken des Lebens, von Beziehungen und dem sich einstellenden Alltagstrott.

Zum Inhalt: Für Jack und Elisabeth ist es Liebe auf den ersten Blick, auch wenn sie das einander erst deutlich später eingestehen. Doch nach 16 Jahren Ehe sehen sich Jack und Elisabeth mit einem Alltag konfrontiert, der sie nicht mehr erfüllt und ihren gegensätzlichen Lebensmodelle und Vorstellungen nicht mehr gerecht werden kann. Unweigerlich stellt sich die Frage: kann man diese Beziehung noch retten? Lohnt es sich für sie zu kämpfen?

Der Schreibstil ist bildhaft, teilweise fast schon ausschweifend in seinem Detailreichtum, sodass ich vor allem auch in der Anfangsphase der Beziehung zwischen Jack und Elisabeth das Gefühl hatte, mich selbst in diesem wohligen Wandel aus Zufriedenheit und Weltvergessenheit zu befinden. Der schleichende Prozess, bei dem sich die Beziehung hin zu einem nebeneinanderher leben wandelt, wird sehr anschaulich dargestellt, sehr nahbar und nachvollziehbar.

Die Geschichte schweift immer mal ab von der eigentlichen Haupthandlung und beleuchtet auch den emotionalen Werdegang der beiden Protagonisten. Teilweise war mir das ein bisschen zu viel des Guten und die Stories klangen teilweise etwas hanebüchen, egal ob es um die wirtschaftlichen (Miss)erfolge von Elisabeths Verwandten geht oder um die emotionale Distanziertheit, die in meinen Augen an Missbrauch grenzt, bei Jacks Eltern. Es werden einfach insgesamt wahnsinnig viele unterschiedliche Themen angeschnitten, was mich zwischenzeitlich ein bisschen überfordert hat. Trotzdem passt das alles zusammen, ergänzt und vervollständigt sich.

Ich fand Elisabeths Art ihre Lebenssituation, das Verhalten ihres Kindes und generell alles tot zu analysieren und unter psychologischen Gesichtspunkten und Studien zu bewerten, wahnsinnig anstrengend. Vor allem das ständige Referenzieren wissenschaftlicher Publikationen. Irgendwie hat sie mir das direkt unsympathischer gemacht, sodass ich langsam, aber stetig für Jack Stellung bezogen habe, obwohl natürlich auch der nicht einfach das Opfer seiner Umstände ist. Dazu kommt auch Elisabeth sonst so nüchterne Art über sich selbst, andere und ihre Umwelt zu urteilen, die teilweise einfach abwertend wirkt. Jack dagegen bewegt sich irgendwo zwischen bemüht und unbeholfen.

Obwohl ich an vielen Stellen mit dem Buch und den Protagonisten angeeckt bin, hat es mir aus Gesamtwerk doch gefallen, zum Nachdenken angeregt und eine ganze Palette an Emotionen in mir hervorgerufen. Ich glaube ich habe lange keiner Geschichte zu zwiegespalten und parteiisch gegenübergestanden, sie aber unter dem Strich dann doch wahnsinnig gern gemocht. Cooles Buch!