Liebe in modernen Zeiten

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Elizabeths und Jacks Anfangsgeschichte ist romantisch, beinahe kitschig und sie werden das perfekte Paar - zwei selbstgewählte Waisen, die sich gefunden haben. Doch zwanzig Jahre später, mit Sohn, Jobs, Verpflichtungen und einer vermeintlichen Traumwohnung im Entstehen, droht ihre besondere Beziehung zu zerbrechen. Erst als sich beide ihrer Vergangenheit stellen und zu sich selbst finden, erkennen sie, was sie am anderen haben.
„Wellness“ von Nathan Hill wird eindrücklich beworben und ich wurde nicht enttäuscht. Beide Protagonisten sind ebenbürtig, beiden räumt Nathan Hill gleichviel Raum ein. Er taucht ab in die jeweilige Vergangenheit, beleuchtet mal Elizabeth, mal Jack, was manchmal etwas ausufert, aber spannend bleibt, nicht nur weil beide so unterschiedlich sind, sondern weil Hill als Erzähler kein Blatt vor den Mund nimmt.
Doch „Wellness“ reduziert sich nicht nur auf Elizabeth und Jack. Natürlich spielt auch Sohn Toby eine zentrale Rolle und Elizabeth und Jacks Vorfahren, die ihnen ein Bündel mitgegeben haben, was nicht leicht zu schultern ist und das sie stets allein getragen haben, auch während der Partnerschaft. Sie spüren, dass ihre Ehe in Gefahr ist und suchen nach Lösungen. Sie versuchen Selbstoptimierung, neuen Wohnträume, die Öffnung der Beziehung, doch brauchen lange bis sie zum Kern des Problems vordringen, ganze 730 Seiten.
Ebenfalls interessant fand ich die Exkurse zum Placeboeffekt, zur Kunstgeschichte und Psychologie, die Nathan Hill in die Geschichte eingeflochten hat. Sprachlich ist es weniger poetisch, aber durchaus gekonnt. Hin und wieder musste ich an David Foster Wallace denken. Und manchmal hat mich die schiere Informationsflut schnaufen lassen.
„Wellness“ ist nicht nur ein Roman, es ist eine Studie über die Liebe in modernen Zeiten, über die Ansprüche, die wir heute an sie haben und wie eine Beziehung mit seinen überhöhten Erwartungen bestehen kann. Es ist eine nicht kitschige in romanform gegossene Liebesgeschichte, die mir sehr gefallen hat.