Eine ungleiche Beziehung

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Anna sitzt am Bett ihres Liebhabers Ludwig und hält einen Monolog. Sie sagt dem Bewusstlosen all das, was sie ihm bisher nie sagen konnte und was er vermutlich ungern hören wollte. Ludwig könnte einen Selbstmordversuch unternommen haben. Zunächst ist noch unklar, ob er Überlebenschancen hat und ob er Annas Ansprache überhaupt hören kann. Gleich auf den ersten Seiten ihres Romans hat Arezu Weitholz mich fest im Griff. Anna Born wirkt wie eine kluge Frau, die sich auszudrücken versteht. Wie konnte sie in die Beziehung zu einem Mann geraten, der sich auf einem Podest räkelt und die Frau an seiner Seite immer nur klein macht? Allmählich kann ich mir eine Vorstellung von Anna und Ludwig als Paar machen. Anna ist Journalistin und Fotografin, die nach einem längeren Aufenthalt in Südafrika in Ludwigs Redaktion zu arbeiten beginnt. In Kapstadt, wo Anna als Disc Jockey arbeitete, muss jeder sorgfältig auf sich aufpassen, um nicht ausgeraubt oder ermordet zu werden. Annas Überlebensinstinkte und ihre Kenntnis der Musikbranche sind in Hamburg nutzlos. Hier muss eine Frau darauf achten, dass sie die richtige Schuhmarke kauft. In der Redaktion fühlt sich Anna behandelt wie ein Kind aus der Provinz. Wer braucht schon Reportagen über kugelsichere Büstenhalter?, fragt sie sich. Wie Anna eine Beziehung zu Ludwig erträgt, der keine Gefühle zulassen kann und seine Freundin verleugnet, bleibt mir lange ein Rätsel. Annas platonischer bester Freund Hannes hatte sie gewarnt "lass die Finger von Ludwig, der hat eine Meise." Hinterher ist man ja immer schlauer.

Ein zweites Kapitel erzählt aus der Perspektive eines neutralen Beobachters, was am Tag vorher geschah. Immer deutlicher wird, dass Anna, deren Mutter dement und schwer krank in einem Altenheim lebt, schon jetzt mehr vom Leben versteht als Ludwig je kennenlernen wird. Annas Themen und Interessen blendet Ludwig aus seinem wichtigen Leben aus. Doch dem prominenten Journalisten, der anderen gern kluge Vorträge über das Leben hielt, scheint die Kontrolle über seine Angelegenheiten entglitten sein, sonst würde Anna jetzt nicht an seinem Bett sitzen. Es schleicht sich beinahe ein Unterton der Verachtung für Ludwig in Annas Worte ein, je länger man ihr zuhört. Anna zeigt sich im Laufe der Geschichte als kluge, tatkräftige Frau, die es seit ihrer Kindheit nicht einfach im Leben hatte. Arezu Weitholz hat mich mit den Ereignissen an zwei Tagen im Leben eines ungleichen Paares gefesselt, weil ich unbedingt wissen wollte, wer Anna ist und wie sie in ihre sonderbare Beziehung zu Ludwig geraten ist. Leserinnen empfohlen, die Annette Pehnt gern gelesen haben und sich ein wenig für Südafrika interessieren.