Wenn die Gedanken am lautesten sind

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khaoskef Avatar

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Es gibt Gedanken, die dich wie ein Hauch durchstreifen, kaum Spuren hinterlassend. Es gibt Gedanken, die für eine kurze Weile deine Welt anhalten. Es gibt Gedanken, die dich wie in einem Karussell herumwirbeln, sich stets im Kreis bewegend. Und es gibt Gedanken, die sich wie Hämmer durch deinen Verstand arbeiten und alle Mauern niederreißen. So unterschiedlich sie auch sein mögen, haben sie doch eines gemeinsam: Jeder einzelne hat eine ihm eigene Zeit. Dort, wo die Nacht am stillsten ist, wo die Worte klar und schneidend wie Glas sind und die Gedanken keine Grenzen mehr kennen, muss die Protagonistin dieses Romans erleben, was es heißt, sich Wahrheiten einzugestehen und eine Entscheidung zu treffen.

Bereits der erste Satz des Romans bereitet eine Geschichte vor, deren Anfang zugleich auch ihr Ende ist. Um Momente geht es, einzelne sowie das große Ganze im Zusammenspiel des Erlebten. Was das heißen soll? Das sagt die Autorin in diesem einen Satz, der gerade durch seine schlichte Struktur eine überaus emotionale Botschaft vermittelt.

"Am Ende geht es um den Moment."

Es schwingt das Gefühl abgeklärter Resignation mit, man hat das Gefühl Teil eines wichtigen Abschieds zu sein ohne etwas über die Figuren und Umstände zu wissen. Die Autorin erschafft zu Beginn durch einen schlichten, harten Stil eine aufgeladene Atmosphäre, die vom gezielten Einsatz der Ich-Perspektive getragen wird.
Wir begleiten Anna und Ludwig, ein ungleiches Paar, das sich unermüdlich aneinander aufreibt. Was sie belastet, lässt ihn jedoch kalt. Berechnend streicht er die Beziehung der beiden aus seinem Leben, mit einem Lächeln im Gesicht, während Anna daran zu zerbrechen droht. Zwei Musikjournalisten, deren Gemeinsamkeiten sich auf den Job und die Einsamkeit beschränken. Er ist erfolgreich, gut betucht und gefragt, sie bewegt sich im Abglanz seines Lichtes. Ohne es zu bemerken, drehen sich beide im Kreis und prallen wie zwei Kreisel aufeinander, bis sie beide ihren Schwung verlieren. Es lässt sich schwer feststellen, an welcher Stelle die Figuren ins Straucheln kommen, sicher ist nur, dass sie fallen werden. Sie hat sich verloren, er sich zu früh gefunden. Halt kann es bei einer solchen Konstellation nicht geben. Daran lässt Weitholz keinen Zweifel aufkommen, denn Anna findet Ludwig in seinem Bett, er hat Schlaftabletten genommen. Wie viele es waren, erfahren wir nicht und auch der Grund lässt sich im Laufe der Geschichte nur erahnen. Für einen kurzen Augenblick hat Anna die Macht über Ludwig und einen Moment, auf den sich alles zuspitzt. Sie könnte Hilfe holen, nutzt aber stattdessen die Stille der Nacht, um ihre eigenen Dämonen zu benennen. Im Zuge dieser einen Nacht verarbeitet sie an seiner Seite nicht nur die gescheiterte Beziehung zu Ludwig, sondern auch den Irrlauf ihres bisherigen Lebens. Sie erzählt Ludwig alles, was sie nie zuvor ausgesprochen hat. Die Autorin spielt mit ihrer Idee, lässt die Protagonistin in Rückblenden einschneidende Erlebnisse rekapitulieren und vor allem reflektieren. Durch die Blenden wird der Monolog zwar dynamischer, doch erfolgen sie so regelmäßig, dass ich allein durch die Struktur eine gewisse Langeweile verspürte. Anna erinnert, erzählt, reflektiert und klagt an. Weitholz verpasst ihre Chance die Struktur inhaltlich zu lockern, in dem sie Anna immer wieder die gleichen Gefühlsausbrüche durchleiden lässt. Sie ist erst traurig, dann wütend, um daraufhin erniedrigt und kraftlos in sich zusammenzusinken. Damit bekommt die Figur Anna etwas Mechanisches, die jegliche Identifikation zunichte macht. Näher kommt man ihr erst wieder, wenn ihre Einsamkeit ganz individuelle Züge annimmt, indem Anna die Verbundenheit mit ihrem Fisch Dante mit dem Leser teilt. In diesen kurzen Szenen stecken mehr Intimität, als in denen der gefühlsaufgeladenen Puppe Anna.
Ungeduldig kann man angesichts der behandelten Themen werden. Von Drogenerfahrungen, einer Flucht vor sich selbst nach Afrika, einer depressiven Mutter und nicht zuletzt einer Medienwelt, in der nur zählt, welche Kleidung du trägst und wie bekannt du bist. Ein treffendes Standbild einer vergangenen Zeit, das überzeugt, aber nicht überrascht. Das war zu erwarten und der Ton, in dem darüber gerichtet wird, ist zu pathetisch, um mich erreichen zu können.

"Warst du jemals auf einem Rave, ich meine nicht in der VIP-Lounge, wo deine Freunde mit den richtigen Turnschuhen stehen. Ich meine ein Fest, bei dem man irgendwann morgens um vier merkt, dass man die ganze Zeit im matsch getanzt hat."

Beide Protagonisten arbeiten in der Musikbranche und man merkt deutlich, dass die Autorin weiß, wovon sie spricht. Arezu Weitholz selbst arbeitete bei etlichen Musikern als Co-Autorin und hier offenbart sich Fluch und Segen. Der Medienbetrieb ist exakt und realistisch dargestellt, die vielen Verweise auf Musiker sind plausibel und hier und da funkeln grandiose Sätze hervor, von denen man einige auch in Songtexten verwenden könnte, aber es fehlt an Ausgewogenheit. Ständig vergleicht Anna Situationen und Personen mit mehr oder weniger bekannten Musikern, um an ihnen etwas zu erklären oder zu zeigen. Sie lässt ihre Figuren nicht von selbst durch ihre Handlungen wirken, sondern liefert die Wirkung quasi im Vergleich mit. Da Anna in der Musikbranche arbeitet, könnte man das noch mit leichtem Bedauern zur Seite schieben. Problematisch wird es bei der Betrachtung des gesamten Textes. Hin und wieder blitzen starke poetische Sätze auf, an denen man sich nicht sattsehen kann.

"Und doch waren sie immer hier, die Gefühle, wie herrenlose Hunde sind sie uns nachgelaufen, aber du sagtest: Man muss sachlich sein, sonst ist man wie ein Tier."

Es sind grandiose Gedankenblitze, die so pointiert sind, dass sie sich wunderbar in Songtexten wiederfinden könnten. Lieder zeichnen sich jedoch gerade durch ihre Kürze aus und hier sehe ich eine große Schwäche der Autorin. Sie schafft es nicht, die wenigen grandiosen Satzmomente auszuweiten. Wenn man aber bedenkt, dass sie Songtexterin ist und zwei Lyrikbände veröffentlicht hat, kann das nicht überraschen. Erst in der Distanz, die Autorin steigt im letzten Teil der Geschichte aus dem Kopf der Protagonistin und wechselt die Perspektive, wirken die Übergänge fließender.

Arezu Weitholz versteht es, in der Kürze zu glänzen. Da ihr Debütroman jedoch 223 Seiten umfasst, bilden die funkelnden Sätze nur Momentaufnahmen und werden so leider vom Rest ein Stück weit verdunkelt. Die Gedanken der Protagonistin sind karusselfahrende Vorschlaghämmer, verfehlen aber leider an einigen Stellen ihr Ziel. Trotz allem ist es ein unterhaltsamer Roman, der auf eine ganz spezifische Weise eigen ist. Man müsste einen Soundtrack zu diesem Buch hören können…
Ein Roman für sensible Frauen und all diejenigen, die sich auch an wenigen großen Momenten erfreuen können.