Spannung im äußersten Nordwesten Schottlands

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
aennie Avatar

Von

Der Thriller „Wenn du mich tötest“ von Karen Winter spielt im äußersten Nordwesten Schottlands, dort wo die Fähren zu den Hebriden ablegen, die Verkehrswege spärlich und die Menschen eins mit dem Atlantik sind, geprägt sind von Meer, Salz, Sand, Fischfang und Schafzucht. Ein Ort, bei dem man zwangsläufig als Außenstehender Outdoor-Kleidung anzieht, selbst wenn man gar nicht wandern gehen will, wenn man ihn besucht. Touristen verirren sich nicht zufällig in diesen Landstrich, gezielt aber sehr wohl. Zu pittoresk - auf eine raue und ursprünglich wilde Art präsentiert sich die Natur hier.

Hierhin reisen auch Julian Tahn und seine Frau Laura aus München. Nach Aufenthalten in Oban und Ullapool soll der Höhepunkt ihrer Schottland-Tour die Wanderung zur nur zu Fuß (für Normalsterbliche) erreichbaren Sandwood Bay mit ihren beeindruckenden Sanddünen und zum noch weiter nördlich gelegenen Cape Wrath sein. Julian Tahn ist Komponist für Filmmusik, ein Künstler, ein Feingeist, sollte man meinen, der jedoch wie sich im Laufe der Handlung herausstellt gegen seine persönlichen Dämonen kämpft und ein großes Geheimnis aus seiner Vergangenheit macht. Seine Frau Laura ist Mitarbeiterin einer Social-Media-Firma, ein „Selfie-Girl“, Statuspostings, Bilder und Likes sind ihre Welt. Sie kehrt nicht zum Zelt in der Sandwood Bay zurück, nach dem sie am Morgen der geplanten Wanderung zum Cape eigentlich nur Wasser holen wollte. Julian kehrt nach einem Tag vergeblichen Wartens zurück in den kleinen Ort Kinlochbervie und meldet seine Frau als vermisst. Zunächst bei der örtlichen Polizei, Detective Mackay nimmt die Anzeige auf und leitet sie an die übergeordnete Behörde weiter. Ausgerechnet der aus dem Nachbarort Blairmore stammende Detectice Sergeant John Gill der Northern Constabulary in Inverness hat die „Ehre“ den Fall übertrage zu bekommen und in seine alte Heimat zurückzukehren um die Ermittlungen zu leiten. Schnell wird klar, dem Leser und der Polizei, dass Julian etwas zu verbergen hat. Im Folgenden entwickelt sich eine stets spannende Handlung, mit einigen interessanten Wendungen und Enthüllungen, kulminierend in einer (für mich ab einem gewissen Zeitpunkt durchaus naheliegenden) Auflösung von Lauras Verschwindens bis zu einem unerwarteten Ende der gesamten Geschichte.

Fazit: Hat mir super gefallen. Liest sich flüssig und flott, die Länge des Thrillers mit 300 Seiten ist heutzutage ja schon fast als kurz zu bezeichnen – und das ist gut. Kein unnötiges Füllsel stört hier die Spannung, das war ein ganz fantastischer Wochenend-Thriller.
In der absoluten Mehrzahl sehr gut ausgearbeitete Figuren, bis in die Nebenfiguren hinein (Peter Dunn, Emma McCullen, Frank Gill – und ich fand sie super: Samantha Merryweather).
Grundsätzlich sehr interessant fand ich, das die Bezeichnung Psychothriller auf dem Cover hier eindeutig nicht auf die Psyche des Lesers durch das Hervorrufen erschütternder Bilder zu sehen ist sondern in der Beleuchtung der Psyche des Protagonisten Julian. Hier liegt der entscheidende Knackpunkt für die Geschehnisse der Geschichte, sein Charakter, seine Verdrängung und Verheimlichung der Vergangenheit.

Was hat mir nicht so gut gefallen? Auch da gibt es ein paar Punkte oder Pünktchen, die aber den positiven Gesamteindruck nicht entscheidend trüben.
Mir ist bewusst, dass dieser nun folgende Kritikpunkt für viele Leute nicht existent ist, ich möchte ihn trotz allem erwähnen: eigentlich bin ich ja geneigt, jedem Buch, dass eine Landkarte enthält per se einen halben Bewertungspunkt vorab mehr zu geben, aber sie sollte doch etwas besser sein als diese hier. Optik super, ganz toll. Inhalt: naja. Wenn ich auf Landschafts- oder Ortsbezeichnungen treffe, nachsehe (ich tue das ständig) und diese sind einfach nicht drauf, ist das nicht so schön. Dafür spielen die eingezeichneten Orte Tarbet, Foindle, Fanagmore z.B. keine Rolle. Ullapool, in dem entscheidende Teile der Handlung spielen, fehlt hingegen aufgrund des Zuschnitts des gewählten Kartenausschnitts. Hätte man hier einen anderen Maßstab gewählt, hätte ich es sinnvoll gefunden. Die Namen der Berge, die ohnehin keine Rolle spielen, hätte man ja dann durchaus weglassen können.
Laura – ja Laura. Ich weiß es nicht, mit der bin ich nicht warm geworden. Schon aus den Berichten als sie fort war nicht, und später gar nicht. Was ist sie denn nun? Das Klickmonster, immer das nächste Posting im Blick für die Fangemeinde im Netz, wie ihr Mann sie beschreibt? Die Partymaus mit Alkoholproblem? Ein stilles, schüchternes Mädchen, wie sie auf dem Foto wirkt, nicht mal wirklich hübsch? Zwischendurch dachte ich es läuft ein bißchen auf „Gone Girl“ hinaus, was es dann glücklicherweise nicht war, aber das hat mir auch nicht geholfen. Und vielleicht gerade deshalb drehen sich die offenen Fragen oder logischen Brüche, die ich habe, auch alle um sie. (Immer vorausgesetzt, ich könnte den entscheidenden Satz auch überlesen haben:
1. Julian beschriebt ihr social-media-Verhalten. Die Polizei findet außer dem mehrfach gesicherten Cloud-Tagebuch nichts. Kein Facebook, Instagram, Twitter??? Seltsam.
2. Ich verstehe den Auslöser für ihre Recherchen in Julians Vergangenheit nicht. Er schlägt sie, warum schließt sie daraus, nachforschen zu müssen?
3. Wie wurde sie für Tom Noviak so leicht erpressbar. Man stelle sich das Szenario vor. Die beiden kennen sich nicht, treffen sich, er berichtet ihr von seiner Vergangenheit mit Julian. Wie schnell kann er erkennen, dass sie einmal angefangen haltlos weiter trinkt und wie schnell kann er seine Erpressungsidee fassen (und umsetzen?).

Aber all das ist wie bereits erwähnt für mich nichts, was den Gesamtleseeindruck für mich negativ beeinflusst. „Wenn du mich tötest“ hat mich gut unterhalten. Wäre es eine Reihe, würde ich auch den nächsten Band lesen.