Steht Schwesternschaft über allem?

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karo273 Avatar

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„Wir stehen dann auf, wir drehen uns um, und wenn wir können, dann lächeln wir.“

Mit einer prägnanten und fesselnden Sprache hat mich Mascha Unterlehberg in die Welt von Jara und Anto entführt; eine Welt voller Freundschaft, Neid, Liebe, Angst, Zweifel und Zusammenhalt. Auf eine sehr besondere Weise widmet sie sich Themen wie Schwesternschaft, den ersten Gefühlen, patriarchaler Gewalt und Klassenunterschieden. Das Buch hat mich zutiefst berührt. Ich habe gelacht, geweint, wurde wütend und habe viel mitgefühlt.

Jara und Anto lernen sich auf dem Fußballplatz kennen. Schnell entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden und direkt von Beginn an ist eigentlich klar, dass Schwesternschaft über allem steht. Anfangs verbringen sie noch jede mögliche Sekunde miteinander, schauen Fernsehen, teilen Klamotten und Lipgloss, sprühen Graffitis und begehen den ein oder anderen Diebstahl. Doch zwischen positiven Gefühlen kommt unter anderem immer wieder auch Wut zum Vorschein. Wut auf Menschen, Wut auf die Gesellschaft, Wut auf Männer. Doch zwischen dieser ganzen Wut schimmert immer auch ein wenig Angst durch. Was bedeutet es als weiblich gelesene Person in einer sexistischen Gesellschaft auszuwachsen? Und steht Schwesternschaft wirklich über allem?

Was mich an diesem Buch so sehr überzeugt hat, ist die Ehrlichkeit, die es zu Tage bringt. Nicht nur verwendet Mascha eine sehr direkte Sprache, sondern lässt den Gedanken von Jara vollen Freiraum. So wird schnell deutlich, dass Jara zum Beispiel kein moralisch perfekter Mensch ist, doch wer ist das schon. Es werden so viele Gedanken und Fragen gestellt, an sich selbst gezweifelt, andere beneidet oder auch mit anderen verglichen. Alles (oder vieles), was man selbst aus seinen Jugendjahren kennt. Sexualisiert werden und sich selber sexualisieren wird ebenfalls thematisiert. Auch dies spiegelt einfach nur die Realität von so vielen Menschen wider, hat mich während des Lesens oft wütend und traurig gemacht. An so vielen Stellen hätte ich Jara (aber auch Anto) gern einfach in den Arm genommen. Die Kapitel sind meist sehr kurz und fragmentarisch. Dies passt sehr gut zum schnelllebigen Charakter des Buches, unter anderem auch zum Alkohol Konsum, der Jara an manchen Stellen mit Erinnerungslücken zurücklässt. Ich bin dadurch in einen sehr guten Lesefluss gekommen, hätte das Buch wahrscheinlich auch in einem Rutsch lesen können, doch wollte mir genügend Zeit für die beiden nehmen. Gleichzeitig springt das Buch immer wieder zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Ab und zu entstand dadurch Verwirrung bei mir, da besonders in den Szenen, die in der Gegenwart stattfinden, Realität und Vorstellung sehr stark vermischt wurden. Gleichzeitig ermöglichte dies einen tieferen Einblick in die Gedanken und Gefühle von Jara.
Die Autorin hat ganz besondere Beobachtungen aufs Blatt gebracht und die Themen Freundschaft und Schwesternschaft sehr ehrlich, fast schmerzhaft behandelt. Ein Buch, dass ich erstmal nicht so schnell vergessen werde. Meiner Meinung nach ein großartiges Debüt.