Feminine Rage trifft Historische Fantasy

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tinten.sturm Avatar

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Ich musste dieses Buch erstmal eine Weile sitzen lassen und darüber nachdenken, was ich eigentlich gelesen habe. In dem Roman 'When Women were Dragons' ist die Hauptfigur eine junge Frau namens Alex, die mit ihrer Familie in Amerika um das Jahr 1955 lebt. Bzw. am 25. April 1955 findet ein großes Ereignis statt, zu dessen Zeitpunkt Alex ein junges Mädchen ist.
Frauen erhalten in dieser Realität die Möglichkeit ausweglosen Situationen zu entfliehen, in dem sie sich in Drachen verwandeln. Zuerst dachte ich, dies wäre metaphorisch gemeint, doch nein, sie verwandeln sich in feuerspuckende, fliegende Ungetümer, die keinem Mann mehr dienen müssen. Interessanterweise sind es vor allem Mütter und Ehefrauen, die am 25. April 1955 Teil des großen Drachenwandelns sind. Spannend ist auch, wie die Gesellschaft mit diesem Phänomen umgeht, denn es herrscht das große Schweigen. Die Medien berichten nicht über das Phänomen. Artikel verschwinden, Videoaufnahmen und Masterarbeiten werden zerstört- Leute bedroht. Es wird alles verschwiegen. Und das, obwohl potentiell die Hälfte der Bevölkerung betroffen ist. (Was ja auch an heutige Themen erinnert)

Es ist ein Roman über Sprachlosigkeit (denn so fühlt sich die Ich-Erzählerin oft im Roman) über Tabus, Sexismus, Ungerechtigkeit und weiblichen Zorn. Die Ohnmacht der Frauen aus den 50er Jahren wird hier Macht verliehen. Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht der Ich-Erzählerin Alex beschrieben und wird durch Artikel, Zeugenaussagen oder fiktive Forschungsarbeiten samt Fußnoten ergänzt. So wird z.B. auch Dido von Karthago als eine erste Drachenwandlerin interpretiert.

So spannend und kraftvoll die Geschichte war, so hatte ich doch auch meine Schwierigkeiten einzusteigen. Da so viel verschwiegen wurde, und nicht gesprochen wurde, hatte ich manchmal den Eindruck etwas wichtiges überlesen oder nicht verstanden zu haben- dann habe ich selbst an mir gezweifelt: Verstehe ich das Buch gerade nicht? Und auch die Dynamiken der Figuren war manchmal schwer zu fassen, denn zu Beginn sind Alex und ihre Mutter oft wütend auf Alex' Tante, die Hosen trägt, in einer Werkstadt arbeitet und sich um die kranke Schwester sorgt- und auf mich erstmal einen fürsorglichen und guten Eindruck macht, aber der so viel Zorn entgegen schlägt, dass ich erstmal ganz irritiert war. Erst, als ich weitergelesen habe, konnte ich mir einen Reim darauf machen, dass Alex' Mutter nicht von ihrer Schwester an ihre verpassten Lohrbeeren, bzw. ihr Scheitern erinnert werden will- zumindest interpretiere ich es so, da sie "aufgegeben" hat. Trotzdem habe ich das Gefühl, ich müsste das Buch nochmal lesen , um vielleicht die zwischen menschlichen Beziehungen etwas besser zu greifen.

Obwohl das Buch sehr gut zu lesen war und auf jeden Fall wichtige Botschaften trägt, hat mir zwischenzeitlich etwas die Spannungskurve gefehlt, bzw. ein Knall oder Höhepunkt. Vielleicht entspricht diese Version eher der Realität, die man kennt, aber ich hätte mir fast mehr gewünscht.

Insgesamt würde ich den "When Woman were Dragons" vor allem denjenigen empfehlen, die die Tropes feminine rage gerne lesen und sich generell mit Feminismus beschäftigen. Wer mit der Erwartungshaltung an das Buch herangeht, eine epische Fantasygeschichte zu lesen, könnte enttäuscht werden, da Fantasy hier eher die zweite Geige spielt. ich könnte mir vorstellen, dass Leser*innen von Babel auch "When Woman were Dragons" gut gefallen könnte.