Die Sache mit der Zeit

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tochteralice Avatar

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Irgendwann - früher oder später, in der Regel aber so etwa in der Mitte des Lebens - spüren wir sie alle, die tickende Uhr in uns. Und sie scheint sich auf einmal extrem schnell vorwärts zu bewegen. War es nicht erst gestern, dass wir an der Hand unserer Mutter zum ersten mal der Schule entgegenschritten?

Bei Tom läuft es anders, also die Sache mit der Zeit und dem Zeitverständnis. Er leidet nämlich an einem ganz besonderen - nennen wir es Phänomen: er wird und wird nicht älter. Im Vergleich zu "Normalsterblichen" zumindest nicht - jedenfalls nicht sehr schnell: Er altert in etwa fünfzehn Jahren so viel wie ein anderer in einem Jahr. Das heißt, mit seinen schätzungsweise rund vierzig Jahren - wenn man nach seinem Äußeren geht - ist er in Wirklichkeit um einiges älter: sein Geburtstag war der 3. März 1581. Richtig gelesen!

Und - wie Sie im Erzählverlauf erfahren werden - ist er diversesten Gefahren ausgeliefert, weswegen er alle acht Jahre seine Identität wechselt bzw. wechseln muss. Das ist ziemlich anstrengend für ihn, aber er ist von einer Suche beseelt, die der Treiber seines Lebens ist und so findet er sich mit einigem ab.

Gerade hat er einen neuen Turnus aufgenommen - und zwar ist er diesmal Geschichtslehrer in einer Schule in England. Auf eigenen Wunsch. Und auch wenn seine Schüler zunächst ziemlich von ihm genervt sind - naja, wie von fast allen Lehrern halt - merken sie bald, dass sein Geschichtsunterricht unglaublich lebendig ist - als wäre er bei den thematisieren Ereignissen selbst dabei gewesen.

Tja, warum wohl? Und - man kann es sich kaum vorstellen - es gibt tatsächlich Menschen, die auf dem besten Weg dazu sind, ihm auf die Schliche zu kommen. Bewusst oder auch unbewusst.

Klingt nach einer Idee, die schon viele hatten. Nach einer ziemlich saft- und kraftlosen Zeitreisegeschichte. Aber ich schwöre bei all der Zeit, die mir noch bleibt (also dem Kostbarsten, was ich habe): nein, so ist es nicht! Ganz und gar. Diese "Zitrone" hat noch viel Saft, sehr viel sogar und eine Zeitreise ist überhaupt nicht das Thema!

Autor Matt Haig, schon aus Büchern wie "Ich und die Menschen" oder "Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben" für seinen Ideenreichtum bekannt, hält sich auch hier nicht an die Erwartungen, sondern geht seinen eigenen Weg. Und zwar einen, der nicht nur ungeheuer unterhaltsam ist, sondern auch auf klugen Recherchen und auf einer außerordentlich gewitzten Kombinationsgabe basiert. Auf seinem Weg durch die Jahrhunderte lässt Haig seinen Protagonisten Tom das ein oder andere Ereignis miterleben, die ein oder andere Klippe - ob im übertragenen oder direkten Sinne - umschiffen, die von einem profunden Wissen zeugt, das er im Erzählverlauf geschickt anzuwenden weiß. Ich jedenfalls hatte großen Spaß daran, Tom auf seinem Weg durch Shakespeares London über das Paris der "Roaring Twenties" bis ins London der Gegenwart zu begleiten. Und ich habe längst nicht alle Stationen erwähnt, ein paar Überraschungen sollen Sie doch genießen dürfen!

Ein Märchen für Erwachsene. Aber eines, das wie so viele auf wahren Begebenheiten und gesellschaftskritischen Beobachtungen basiert. Aus meiner Sicht hätte es noch eine ganze Weile so weitergehen können!