Liebe ist Schmerz

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elohym78 Avatar

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Nach über 400 Jahren Leben, sehnt sich Tom nach Beständigkeit. Er möchte ein normaler Mensch sein, mit einer normalen Lebensspanne, leben, lieben und lachen dürfen. Unbekümmert, ohne Angst vor Entdeckung. Dies hofft er als Geschichtslehrer zu finden. Doch statt dessen findet er Camille, die sein ganzes bisheriges Leben verändert.

Das Cover zeigt den Protagonisten Tom Hazard, wie er rücklings in einer riesigen Uhr liegt und verträumt nach oben blickt. Die Zeiger der Uhr fehlen, so dass das Bild zeitlos auf mich wirkt; ist es Abend? Oder doch Morgen? Oder eher irgendwas dazwischen? Zudem rieseln leere Seiten von oben herab, die die These von Alles ist möglich unterstützen. Auf mich wirkt es bodenständig, geheimnisvolle und lädt zum Träumen, oder besser gesagt nachdenken ein.

Was wäre, wenn du schier ewig leben könntest? Dieser Frage geht Matt Haig auf eine sehr gefühlvolle und spannende Art nach. Ewiges Leben ist zwar der falsche Ausdruck, denn es ist eher eine Krankheit: Anagerie. Bei den meisten Betroffenen bedeutet dies, dass sie in acht Jahren nur ein normales Menschenjahr älter werden; bei dem einen ist diese Zeitspanne etwas mehr, bei dem anderen etwas weniger. Estienne Thomas Ambroise Christophe Hazard wurde am 03.03.1581 geboren und seine Spanne ist 1:15.
Ich finde den Ansatz von Haig interessant, dass er hier keinen Unsterblichen in seiner Figur kreiert, sondern einen Kranken. Während es Menschen gibt, die unfassbar schnell altern, ist hier genau der andere Fall gegeben. Vor hunderten Jahren hat sich die Albatros-Gesellschaft gebildet, die alle Langlebigen vereinigt; sie hilft diesen mit Identitäten und der Bewältigung des Lebens. Auf den ersten Blick eine Gesellschaft, die zum Schutz erschaffen wurde. Doch unter der Oberfläche brodelt eine ganz andere Wahrheit. Diese hat Tom zwar erkannt, kann ihr jedoch nicht entkommen. Er versucht es, in dem er als Lehrer an einer Schule unterrichtet. Er möchte gelebte Geschichte erzählen und in die Gegenwart holen. Ich finde es schade, dass so wenig von seinem eigentlichen Beruf berichtet wird, da der Klapptext mich in diese Richtung gelotst hatte. Denn eigentlich schildert das Buch die Lebensgeschichte von Tom. Ausgelöst von seiner jetzigen Tätigkeit. Schön finde ich, dass die Handlung immer wieder von erklärenden Rückblicken aufgelockert wird, die für mich den Erzählstrang lebendig halten.

Tom Hazard ist ein wundervoller Protagonist. Ich mag seine melancholische Art sehr. Auf den ersten Blick lehnt er das Leben ab. Allerdings nur, weil es für ihn Schmerz und Leid beinhaltet und nicht, weil es an sich schlecht ist. Als Tom sein Weltbild ändert, mit liebevoller Unterstützung von Camille, ändert sich einfach alles für ihn. Er kann leben und das vielleicht das erste Mal in über vierhundert Jahren. Diese Veränderung beobachten zu dürfen, war unbeschreiblich intensiv und schön. Mir ist der Abschied richtig schwer gefallen.

Mein Fazit
Kein lustiges Buch. Kein lebensbejahendes Buch. Aber eins mit Tiefgang, Gefühl und wunderschön!