Nahezu ewiges Leben

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Die Menschheit träumt vom ewigen Leben: Man lebt, altert aber nicht – und genießt das Leben …
aber ist das wirklich ein Traum oder eher ein Albtraum?

Um dieses Thema geht es in Matt Haigs „Wie man die Zeit anhält“. In diesem Roman erzählt Haig die Geschichte von Tom Hazard, nun ja, der Name ist so eine Art „Arbeitstitel“, denn Namen sind relativ bei jemandem, der im 16. Jh. geboren wurde und heute etwas über 400 Jahre alt ist, dabei aber aussieht wie ein Vierzigjähriger. Damit nicht auffällt, was mit ihm los ist, muss er alle 8 Jahre neu anfangen, was äußerst anstrengend sein muss. Glücklicherweise bekommt er Hilfe von einer Organisation, die sich um seinesgleichen kümmert und deren Regel Nummer 1 lautet: Verliebe dich nicht. Warum? Weil Emotionen in einem Jahrhunderte währenden Leben Luxus sind. Deshalb sind Menschen auch eher Randerscheinungen als Freunde, denn wer versteht schon, dass jemand nicht mit ihm altert? Doch irgendwann passiert Tom das Missgeschick: er verliebt sich in Rosie, überlebt sie und zeugt mit ihr eine Tochter: Marion, sie hat Toms „Veranlagung“ geerbt und gibt ihm Lebensmut – doch ausgerechnet sie verschwindet, was Tom veranlasst, sich auf die Reise durch Jahrhunderte und Länder zu machen.

Die Geschichte wird zum einen ausToms Gegenwart als (passenderweise) Geschichtslehrer in London erzählt, den anderen Teil macht seine Epochenreise aus. Entsprechend voll ist das Buch mit Informationen, Geschichte und Personen, die notwendigerweise oberflächlich bleiben, da sie immer nur Momentaufnahmen in Toms Leben sind, auch Camille, in die Tom sich entgegen aller Regeln ebenfalls verliebt. Das Spannende an dem Buch sind die Fragen, die man sich letztlich stellt: Wie erlebt ein Mensch, der jahrhundertealt ist sein Leben? Sind die Kryoniker auf dem Holzweg? Wird man bitter, zynisch? Verzweifelt man, wenn Menschen kommen und gehen und man zu niemandem letztlich Bindungen eingehen kann? Hat ein Leben einen Sinn, wenn man alle Lieben überlebt? Was bedeutet überhaupt Zeit bzw. das vielbeschworene „Leben in der Gegenwart“? Ist es Realität oder ist es nicht doch das vergangene oder künftige Leben (Physiker könnten Spaß an derlei Fragen haben …)? Worin liegt Lebensqualität: Ist Zeit wirklich die „wertvollste Währung“? Wann endlich lernen Menschen aus ihren Fehlern?

Zwangsweise scheint manches in der schieren Fülle etwas „unplausibel“, dennoch bringt einen das Buch auf unterhaltsame Art zum Denken. Dabei hilft es, dass Haigs Sprache trotz des nicht ganz einfachen Themas gut lesbar ist und poetische wie unterhaltsame Momente bereit hält. Hätte „Ich und die Menschen“ nicht ohnehin auf meiner „das könnte man mal lesen“-Liste gestanden, hätte ich es wohl jetzt darauf gesetzt.