>>Da zerplatzt einem das Glück im Hirn, wenn man die nimmt<<

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elke seifried Avatar

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„Inzwischen bin ich zweiundneunzig und so krumm, dass mein Kopf von ganz allein zu Boden zeigt, die Stirn voraus.“, gilt heute für Madame Nanon, die in ihrem fiktiven Dorf, Bois-des-Val am Fuß des Sonnenbergs im Elsass, alle liebevoll Madame Nan nennen.

In diesem Roman erzählt sie ihren Zuhörern und Lesern, von vergangenen Zeiten, „Damals, 1979, als es mit den Liebesbomben anfing, war ich selbst noch jung. Zweiundfünfzig. Das ist wirklich kein Alter.“, davon wie es zu diesen Liebesperlen kam, „Un couple d´une petite bombe dámour. Einfach anzuwenden, Erfolgsversprechend. Zehn Francs das Paar“, wie sie wirken, welchen reißenden Absatz sie fanden und wie sie das Dorf veränderten. Man erfährt auch davon, wie Töchterchen Chloé ihrer Mutter in Liebesdingen die Augen öffnen musste, „Ich finde du solltest dich mit Monsieur Bomberschram zusammentun. Er hat seine Frau verloren und du Papa.“, und dann natürlich auch davon, wie sich die beiden zwar näher kommen, um dann aber mit ihr leiden zu müssen, wenn sich die Schmetterlinge irgendwie verfliegen. Auch ein lang gehütetes Geheimnis kommt ans Tageslicht, das dazu führt, „In der Zeit meines Stillstands (so nenne ich meinen depressiven Anfall, obwohl diese Bezeichnung nicht ganz stimmig ist, denn ich stand nicht still, ich ruderte gedanklich zurück in die Vergangenheit, ließ sie wieder aufleben,…“, An dieser Vergangenheit lässt sie die Leser selbstverständlich ebenso teilhaben. Mehr vom Inhalt, ob es trotz Schmetterlingen, die falsch abgebogen sind und einem Geheimnis, das einen tiefen Graben zwischen Madame Nan und Monsieur Boberschram schafft, noch ein Happy End gibt, wird nicht verraten.

„Zu Hause sprachen wir überwiegend elsässisch, obwohl das nach dem Zweiten Weltkrieg kaum einer tat. Aus gutem Grund. Es war die Sprache des Feindes, der Deutschen.“ „Oft wissen die jungen Leute von heute gar nicht mehr, dass es uns auch während der Besatzung verboten war, elsässisch zu sprechen.“, „Er floh. Beziehungsweise: Er versuchte zu fliehen und wurde an der Grenze zur Schweiz erschossen.“, immer wieder Erinnerungen an alte Freundinnen, an ihre Eltern und auch später dann die Träume, in die sie nach Offenbarung des Geheimnisses abgleitet, geben einen gelungen Einblick in das Leben in der Gegend während des Zweiten Weltkriegs. Oft war ich tief betroffen, wenn der Nachbar den anderen verrät, oder eine Frau, die sich mit einem deutschen Soldaten eingelassen hat, später rasiert durchs Dorf getrieben und dem Spott aller ausgesetzt wird. Auch Beschreibungen aus dem Leben nach dem Krieg haben mich sehr bewegt. Überschwemmungen, …, „Früher hatte es bei uns im Dorf nur die Auszeichnung zum Dorftrottel gegeben. […] Auf Arthur wurden nicht nur Eier geschmissen. Auch Kuhmist landete in seinem Rücken, auf seinem Kopf und an seinen Beinen.“

„Oft musste er sich zusammenreißen, nicht auch noch den Teller auszuschlecken und seinen Finger in die Soße zu stecken, …, erwähnen möchte ich auch noch die umfangreiche Sammlung „Aus Madame Nans Elsässischer Rezeptküche“, die sich im Anhang befindet, hat sie doch nicht nur Monsieur Boberschram stets lecker bekocht, sondern die Leidenschaft fürs Kochen hat sie auch mit ihrer Tochter Chloé verbunden.

Ich hatte beim Lesen stets das Gefühl, neben der alten verschwitzt, warmherzigen Dame sitzen zu dürfen und sie erzählt mir ganz persönlich ihre Geschichte. Die Autorin hat diesen Eindruck nicht nur dadurch, dass sie Madame Nan immer wieder Floskeln, wie wissen Sie einwerfen und damit die Leser direkt ansprechen lässt, sondern auch durch die einnehmende Art, mit der sie die Ich-Erzählerin ausstattet, bei mir erzeugt. Ich konnte so viel schmunzeln, wofür witzige Beschreibungen, wie von einer Anne, die die Liebesperlen als erste im Selbstversuch testet und sie dazu in ihren Slip steckt, damit sie besser wirken können, >>Ich muss nur aufpassen, dass es mir nicht in die Toilette fällt, wenn ich aufs Klo gehe, aber ansonsten ist das eine perfekte Stelle.<<, versehen mit Madame Nans Kommentar „Ein Großteil der erdigen Substanz hatte sie sich in ihren Slip gerieben, was alles andere als appetitlich aussieht, dafür nicht schlecht riecht.“, gesorgt haben. Auch witzige Szenen, wie wenn z.B. für die schüchterne Lehrerin, die sich nicht direkt nach den Liebesperlen zu fragen traut, gilt, „Sie kaufen seit Tagen unsere Reinigungsvorräte auf.“, oder amüsante, aber niemals schlüpfrige oder derbe Beschreibungen, die mir bei der Vorstellung, dass sie eine zweiundneunzigjährige Dame äußert, ein Grinsen aufs Gesicht geschickt haben. „Marie und Malou legten meistens so gegen dreiundzwanzig Uhr los. Dann rumpelte und klopfte es in regelmäßigen Abständen. […] bat ich sie, ihre Leidenschaft doch woanders auszuleben. Es sei eine Zumutung für uns. Denn diejenigen, die um die Zeit ihrer Erregung schliefen, würden geweckt und …“ Auch Dialoge der Art >>Du weißt schon was Pariser sind, Marie?<< , >>Ja Menschen die in Paris leben, warum fragst du das?<<, >> Und du weißt auch, wie man die benutzt, oder?<<, haben mich schmunzeln lassen. Immer wieder hat mich die Autorin mit ihrer herzerwärmend, witzigen Liebesgeschichte auch sehr berührt, ich habe so gefiebert, dass sich Madame Nan und Monsieur Bomberschramm bekommen und einfach gestaltet sich das wirklich nicht. Toll fand ich auch dass es Claire Sthilé trotz solch schöner Liebeserklärungen, die so richtig ans Herz gehen, wie „Du bist wie ich – und deswegen liebe ich dich.“, nie Gefahr lief, ins Kitschige abzudriften. Gut gelungen ist ihr auch, den Familienzusammenhalt bzw. das Zusammenwachsen von Madame Nan, ihren vier Töchtern und den beiden Schwiegersöhnen in spe schön herauszuarbeiten. „D´Liewe päät wie Märedreck, M´r bringt sie nim vom Herze weg.“, immer wieder gibt es auch kleine Einschübe auf Elsässisch, die im Anschluss zumeist gleich übersetzt werden, auch das hat mir sehr gut gefallen.

Madame Nan mit ihrem Charme hatte mich von der ersten Sekunde am Wickel. Sie ist mir beim Lesen so richtig ans Herz gewachsen, wofür sicher auch die gelungene Figurendarstellung der Autorin gesorgt hat, die ihre Charaktere mit ganz viel Liebe, markanten Details, sehr individuellen Charaktereigenschaften und auch einer gehörigen Portion Authentizität ausgestattet hat. Nur um zwei weitere Beispiele anzuführen, „Mit den Liebesperlen – die kleine Schwester der Liebesbombe. Weniger Materialverbrauch, gleiches Geld.“, amüsiert habe ich mich immer sehr über die Geschäftstüchtigkeit ihrer Tochter Marie und sehr gut hat mir auch der junge Algerier Malou gefallen, der nicht nur Maries Herz im Sturm erobert, sondern für den gilt, er „hatte es geschafft. Er war bei uns aufgenommen worden. Der Zufall hatte es ihm ermöglicht, trotz seiner Herkunft.“, und obwohl es heißt, Ist ja schon ziemlich sonnengebräunt, dieser junge Mann“. Ganz besonders seine ausgleichende Art und seine Lebensweisheiten haben es mir angetan. „Die Liebe fragt nicht danach, ob sie liebt, sie tut es einfach.“


Und eine weitere davon ist, „Nicht beklagen, Madam Nan, machen! Am Glück muss man arbeiten, damit es sich einnistet.“, mit der möchte ich hier auch enden. Mich hat das Lesen ein wenig glücklich gemacht und mir auf jeden Fall ein warmes Gefühl ums Herz bereitet. Zudem war die Geschichte super spannend, oft bewegend, noch öfters amüsant und auch informativ. Dafür gibt es von mir begeisterte fünf Sterne.