Ausflug zu den eigenen Wurzeln

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cracklinrosie Avatar

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Krishna Mustafa wurde von seiner Freundin verlassen, weil er sich angeblich weigert, seine Wurzeln zu suchen und so seine Identität zu finden. Also macht er sich für 6 Monate auf den Weg nach Istanbul, um dort seinen Vater zu treffen und eben auch seine Wurzeln zu suchen - weil er sich davon verspricht, dass seine Freundin einen neuen Versuch wagt, dann, wenn er seine Identität endlich gefunden hat.
Ähnlich naiv wie dieser Gedanke sind die meisten Gedankenspiele Krishnas aufgebaut. Das ist für mich ein deutlicher Minuspunkt dieses Buches, das an sich wirklich gut geschrieben ist. Alleine die Hauptperson ist so erschreckend schlicht und naiv, dass sie einfach total unglaubwürdig wird.
Er besucht z. B. eine Veranstaltung von Erdogan und wird erst durch einen anderen Besucher aufgeklärt, dass es eben nicht DER Erdogan ist, sondern offenbar ein Kabarettist (ja - sowas soll es da auch geben). Er lädt sich eine Gebets-App aufs Smartphone, damit er auch ja regelmäßig und pünktlich ans Gebet denkt - was ihm bisher überhaupt nicht wichtig war und er auch nicht regelmäßig tat. Zu allem Überfluss gibt er noch ein Online-Interview und erzeugt durch seine Art der Antworten den Eindruck, er wäre zum Islamisten mutiert und ließe sich nun in einem Ausbildungscamp schulen. Alle Bekannten in Deutschland stehen die Haare zu Berge und der Verfassungsschutz kommt in Bewegung. Er jedoch geht nicht gegen die Verbreitung im net vor, weil er sich selbst cool findet, weil er als Rapper bezeichnet wird. Seine Gedankengänge sind schon tlw. extrem kindlich - was natürlich auch eine gewisse Komik mit sich bringt.
Insgesamt wird dennoch in dem Buch auch viel an Information geboten. Über die Kultur des Landes, die Demonstrationen im Gezi-Park, die Unterschiede zwischen Deutschen und Türken, und, und, und. Diese Infos werden ausgesprochen launisch rüber gebracht und sehr humorvoll. Teilweise aber auch mit dem entsprechenden Ernst.
Am besten gefielen mir die Szenen, in denen Krishna mit seinem Cousin Emre via Skype telefoniert, der in diesen 6 Monaten ein Semester Auslandsstudium in der BRD eingeschoben hat und Krishnas Wohnung nutzt und umgekehrt. Dabei wird sehr deutlich, wie verrückt auch unser Verhalten auf viele "Ausländer" wirken muss. Krishna zeigt eher deutsche Verhaltensweisen, weshalb er sich eigentlich als Deutscher mit türkischer Tarnkappe in Istanbul aufhalten kann.
Insgesamt versucht das Buch einen Spagat zwischen Comedy und ernsthaftem Inhalt. Ein wenig übertrieben hat es der Autor m. M. nach mit der Comedy. Der ernsthafte Inhalt hingegen ist hervorragend angekommen, weil er leicht und kurzweilig geschrieben ist. So gut wie nichts konnte ich allerdings mit dem Chor der Einäugigen anfangen. War er bei seinem ersten Erscheinen noch halbwegs witzig und sogar nachvollziehbar, so führte sein späteres Auftreten nur zu Fragezeichen bei mir. Ich konnte weder einen Zusammenhang mit der Handlung noch irgendeinen Sinn darin sehen. Das führte zum 2. Sternabzug.
Fazit:
Schade, dass der Autor unter seinen Möglichkeiten geblieben ist. Er hätte deutlich mehr aus der Geschichte machen können. Trotzdem vor allem für jüngere Leute vll. ein Weg, an dieses Thema heran zu gehen.