Ich war gespannt … und es hat sich gelohnt

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steffi kohl Avatar

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Nochmal zur Vorgeschichte: 1989 lernt eine deutsche aus Indien kommende Hippie-Frau einen türkischen Germanistikstudenten kennen. Sie verlieben sich, bekommen einen Sohn, leben in Istanbul, bis das Kind die Grundschule besuchen muss. Der Mutter gefällt das Bildungssystem in der Türkei nicht, sie fahren nach Deutschland. Dem Vater gefällt Deutschland nicht, sie trennen sich. Die eigentliche Geschichte spielt in der Gegenwart und der Junge wird von seiner Freundin verlassen, weil er sich nicht um seine Identität, Kultur und Wurzeln kümmert. Er zieht von Freiburg nach Istanbul. Dort will er seinen Vater treffen, die Türkei kennenlernen und seine Wurzeln suchen.

Das sehr schön gestaltete Cover gefiel mir sofort, die Person auf dem (türkischen) Halbmond erinnert an einen Träumer. Und das ist Krishna Mustafa ja auch, passend dazu sein Name und die Dreadlocks.
Nur der Buchdeckel in dunklem Braun, na ja …passender wäre ein Rückgriff auf die Farbe des Titelbildes (orange/rost)gewesen.
Auch der Titel des Buches „Wieso Heimat, ich wohne zur Miete „ weist auf diese leichte Naivität des Protagonisten hin.
Der tauscht kurz entschlossen sein Zimmer und sein Deutschland mit einem Türken. Er erhofft sich auch seinen Vater, der vor 12 Jahren die Familie verlassen hat, wiederzusehen.
Er erlebt jede Menge Turbulenzen und „deutsch-türkische“ Missverständnisse. Krishan erkennt, dass er nicht sorglos im Internet surfen und lieber nicht überall die Wahrheit erzählen darf. In Deutschland hatte er mit seiner Sorglosigkeit keine größeren Probleme.

Der Geschichtsverlauf ist etwas kompliziert , aber durch Kapitelüberschriften nachvollziehbar.
Selim Özdogan schreibt voller Ironie, im leichten Plauderton und stilsicher. Er gibt tiefgründige gesellschaftliche Analysen und tolle Beschreibungen von deutschen und türkischen Charaktereigenschaften. Da werden Seitenhiebe in alle Richtungen verteilt, weder vor dem deutschen Reinheitsgebot, noch vor Bio als Lebenssinn oder ganzjähriger Weihnachtsbeleuchtung in Istanbul Halt gemacht.
Sätze wie: "Irgendwann hing der Segen so schief, dass er vom Dach herunterstürzte, auf die Erde fiel und ein letztes Mal nach Luft schnappte. Man sah nur noch das Weiße in seinen Augen und dann starb er, ganz unchristlich, ohne Aussicht auf Wiederauferstehung." sind einfach Spitze.Ebenso toll: die Erklärungen zu Kirchensteuer und GEZ auf Seite 59.
Die Frage "wo gehöre ich hin" und die Integration ist noch dazu ein brennend aktuelles Thema. Hier wird es ohne erhobenen Zeigefinger und sehr poetisch behandelt.