Türkisch-deutscher Simplicissimus

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takabayashi Avatar

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Nach einem fulminanten Einstieg hat das Buch für mich leider nicht gehalten, was es versprach: Den Rückblick auf das Kennenlernen von Krishna Mustafas Eltern im Pudding Shop in Istambul und den Verlauf ihrer kurzen Ehe fand ich wunderbar geschrieben, komisch und authentisch. Die Eltern lebten erst in Istanbul, zogen dann aber, als der Sohn ins schulpflichtige Alter kam, auf Wunsch der Mutter nach Freiburg um, damit ihm der Besuch einer deutschen Schule ermöglicht wurde. Bald danach folgte der Niedergang der Beziehung, der türkische Vater kehrt nach Istanbul zurück, Mutter und Sohn bleiben in Freiburg.
Die deutsche Mutter war auf dem Rückweg von Indien auf dem Hippie Trail in Istanbul gelandet und der Name Krishna verdankt sich ihrem Vorleben. Nun ist besagter Krishna Mustafa 24 Jahre alt, seine Freundin Laura hat ihn verlassen, weil er nicht weiß, was er will, weil er seine Identität suchen muss, wie sie meint und jetzt hat er mit seinem Cousin das Zimmer getauscht und befindet sich auf einem Selbstfindungstrip in Istanbul.
Die Wohnung seines Cousins ist eine Studenten-WG, bewohnt von Isa, einem depressiven Studenten, der aus Verzweiflung über die politischen Verhältnisse in der Türkei kaum noch das Haus verlässt, und einem Studentenpärchen, das an einem Dokumentarfilm über die Proteste im Gezi Park arbeitet.
Krishna flaniert durch Istanbul, spricht mit den unterschiedlichsten Leuten und philosophiert vor sich hin. Zu seiner Unterstützung gibt es zwischengeschaltete Kapitel mit dem Chor der Einäugigen. Zum Teil alles etwas verwirrend, da die direkte Rede in keiner Weise gekennzeichnet wird. Es gibt durchaus zwischendurch witzige Stellen und auch Sätze, die einen zum Nachdenken anregen. Aber der Text wurde für mich nie zu einem Ganzen, einem Roman eben.
Krishna hat eine irritierende Angewohnhet: er versteht Redewendungen immer wörtlich. Das mag als Stilmittel einige Male ganz interessant sein, nervt aber auf Dauer und verhindert die Identifikation mit diesem "begriffsstutzigen" Wesen. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass der Autor das als Stilmittel einsetzt und selbst nicht so naiv und begriffsstutzig ist, wie sein Protagonist. Die Krönung war, wie Krishna in seiner Naivität unwissentlich alles dafür tut, im Internet wie ein angehender Terrorist zu erscheinen, so dass er ins Visier des BND gerät. Und als er von seinen Freunden aufgefordert wird, sich zu wehren und gewisse Texte im Internet löschen zu lassen, verweigert er sich in seiner blauäugigen Art. Vermutlich habe ich die Intention des Autors nicht verstanden, aber jedenfalls ging dieser Simplicissimus mir immer mehr auf die Nerven und gegen den Strich. Ich musste zwischendurch erst einmal zwei andere Bücher lesen, bis ich mich dazu durchringen konnte, das Buch zu Ende zu lesen. Und weiß immer nocht nicht, worauf das Ganze hinauslaufen soll. Schade, nach dem viel versprechenden Anfang hatte ich mehr erwartet!