Und für jeden Menschen bist du etwas anderes und nur das zählt...

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Selim Özdogan ist kein Schriftsteller-Neuling, bisher habe ich aber noch keines seiner Bücher gelesen."Wieso Heimat, ich wohne zur Miete" schrieb er, nachdem er, so wie der Protagonist seines Romans, ein halbes Jahr in Istanbul gelebt hat. Diese autobiographische Nähe hat mit Sicherheit Einfluss auf das "Besondere" dieses Buches.

Mustafa Krishna, Sohn einer Deutschen und eines Türken, wird von seiner Freundin verlassen. Sie wirft ihm vor, dass er keine Identität habe. Als sein Cousin Emre ein Auslandsemsester in Freiburg antritt, nutzt Mustafa Krishna die Gelegenheit und tauscht mit ihm das WG-Zimmer. Emre geht nach Freiburg und Mustafa nach Istanbul, um seine Identität zu suchen, denn er hat ja türkische Wurzeln. Beide tauschen sich miteinander aus über "das deutsche" und "das türkische", noch viel mehr tauscht sich aber Mustafa mit Istanbul und den Menschen, die er dort kennen lernt aus. Und er erfährt vieles über Kultur und Leben in der Türkei, über Angewohnheiten und Vorurteile, über Bäume und Vögel und über sich selbst.

Selim Özdogan Schreibstil in diesen Roman ist etwas distanziert und nimmt einen dennoch mit. Die einzelnen Kapitel sind relativ kurz, sie beschreiben Ereignisse aus Mustafas Leben in Istanbul chronologisch, aber in Episoden zwischen denen zeitliche Unterbrechungen liegen. Obwohl die Titel der einzelnen Kapitel den Lesefluss kurz stoppen und außerdem einiges an Handlung vorweg nehmen, liest sich der Text insgesamt gut und es entsteht eine gewisse Nähe zu Krishna Mustafa und seinen Mitbewohnern. Auch die Zwischenkapitel in denen der Chor der Einäugigen zu Wort kommt, unterbrechen zwar, stören aber den Lesefluss nicht. Allerdings ist die wörtliche Rede nicht als solche markiert und manchmal ist auch nicht sofort klar, wer jetzt gerade etwas sagt. Im Zusammenhang erschließt sich dieses aber dem Leser. Özdogan hat einen angenehmen, verständlichen und eigentlich leichten Sprachstil mit dem er sowohl lustige, philosophische und dramatische Dinge zum Ausdruck bringt.

Jetzt habe ich das Buch ausgelesen und komme doch zu einer besseren Bewertung, als ich zwischendurch dachte. Ich hatte schon die Leseprobe gelesen und die gefiel mir relativ gut. So erging es mir auch am Anfang des Buches. Doch je weiter ich las, je "dümmer" und "naiver" kam mir Mustafa Krishna vor und das nervte mich und raubte mir zwischendurch die Leselust. Vielleicht hat es auch deshalb etwas länger gedauert, bis ich das Buch zu Ende hatte. Auch in diesen Passagen konnten mich aber das Wissenswerte über Politik und Ereignisse in der Türkei überzeugen und machten an diesen Stellen das Buch lesenswert. Am Ende schließt sich der Kreis dann ein bisschen und das Lesen macht mir wieder mehr Spaß und ich nehme einiges aus diesem Roman mit. Besonders die gegensätzlichen Beurteilungen der Situation in der Türkei durch die verschiedenen Protagonisten rund um Mustafa Krishna haben mich beeindruckt und das Ergebnis, dass Mustafa Krishna aus seinen Erlebnissen in der Türkei zieht, regt zum Nachdenken an. Seine Identität hat er nicht gefunden, aber er hat erkannt "Die Kinder versuchen nicht herauszufinden, wer du für die Welt bist, die Kinder versuchen herauszufinden, wer du für sie bist. Und für jeden Menschen bist du etwas anderes und nur das zählt...."
Und am Ende saß ich mit dem ausgelesenen Buch in der Hand dachte : Irgendwie ein schönes Buch! (aber nicht für jeden ;) )