Wieso Heimat, ich wohne zur Miete

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Hm, also um es gleich zu sagen: Ich mag dieses Buch. Teilweise habe ich es richtig genossen, es zu lesen. Viel Handlung hat es ja nicht. Ein junger Deutsch-Türke wird von seiner Freundin verlassen, weil er seine Identität noch nicht gefunden hat und sucht sie (die Identität, nicht die Freundin) jetzt in Istanbul, der Stadt, in der er aufgewachsen ist. Er stromert so durch die Gegend, trifft viele Leute, lernt die Mitbewohner seiner WG und deren Freunde, sowie seinen Vater und dessen neue Familie kennen. Das ist so die Grundstory, auf der der Autor sein Buch aufbaut. Einen roten Faden im Sinne von aufeinander aufbauenden Handlungen hat es zwar nicht, es plätschert in verschiedenen Episoden so dahin, das macht es allerdings sehr gut und extrem unterhaltsam. Die einzelnen Szenen werden nicht seelenlos und mechanisch von außen beschrieben, das Ganze hat was, was nicht zuletzt an der sehr originellen Ausdrucksweise des Autors liegt. Der Protagonist ist gespielt naiv und schafft es dabei, den Zeigefinger in zahlreiche Wunden zu legen. Da kommt Pegida genauso zur Sprache wie die Proteste im Istanbuler Gezi-Park. Das alles wird sehr kritisch hinterfragt, es fehlt aber nicht das gewisse Augenzwinkern, das das Ganze dann auch wieder sehr charmant und unterhaltsam macht. Eine gekonnte Mischung, der Autor trifft hier genau den richtigen Ton. Sein Perspektivwechsel über die Einschübe der „Einäugigen und Blinden“ sind auch ganz originell, wenn sie mir auch in manchen Passagen zu sehr abdrehen und ich mich frage, was das denn jetzt soll. Hier wäre weniger manchmal mehr gewesen, der ohnehin nur rudimentär vorhandene rote Faden verliert hier völlig an Bedeutung. Insgesamt ein sehr lesenswertes und auf moderne Weise poetisches Buch, sehr sentimental und auf wunderschöne Weise auch traurig. Man muss sich jedoch darauf einlassen, sich dafür Zeit nehmen. Es ist nichts, das man einfach so herunterlesen kann.