Hägar Reloaded

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
herr_stiller Avatar

Von

Hägar war einer der Lieblingscartoons meiner Kindheit. Der offiziell „Schreckliche“, aber insgeheim eher schrecklich nette Wikinger, der zum Arbeiten (also Plündern) nach England musste, abends gern ein Kaltgetränk in der Stammkneipe zischte, sich vor der Hausarbeit drückte, Angst vor seiner Gattin hatte und sich dennoch immer mühte, sich um seine Kinder zu kümmern. Schon diese Comics hatten starke Frauenfiguren wie Hägars Frau Helga und die gemeinsame Tochter Honi, die selbst Kriegerin werden wollte. Warum die lange Einleitung, wenn es doch eigentlich um einen ganz anderen Comic geht? Nun, Wikinger im Nebel stößt ins gleiche (Füll-)Horn. Mit noch stärkeren, sarkastischeren und selbstbestimmteren Frauen und moderner Gesellschaftskritik in einer Welt, die im Wandel ist. Und das macht größtenteils durchaus Spaß.

Als die Wikinger zu Beginn des Comics – Band 1 einer neuen Reihe – zur nächsten Plünderung aufbrechen, sind ihre Frauen erleichtert. Keine Fürze beim Abendessen und endlich die Gelegenheit, die ungeliebten Mitbringsel der letzten Fahrten zu verbrennen. Außerdem laden sie Bruder Ulrich ein, der ihnen den christlichen Glauben nahebringen soll – das Ende der heidnischen Rituale droht also, während die Männer noch erfolglos mit Runen den Wetterbericht würfeln, das Weihwasser fürchten wie, nun ja, Wikingermänner das Badewasser, und dennoch damit hadern, beim Brandschatzen die Kirche abzufackeln.

Viele kleine Szenen machen richtig Spaß, wenn beispielsweise der Stau auf den Meeresstraßen in der Plündersaison an die Sommerferien-Reisewellen erinnert, oder sich die Möwen auf das letzte Mahl vor dem großen Kampf stürzen. Auch kleinere (Bild-)Zitate finden sich im Werk von Wilfred Lupano und Ohazar, darunter Herr der Ringe, Game of Thrones und Hokusais große Welle vor Kanagawa, die hier, nicht ganz so groß, den Helm des Häuptlingsohns wegspült. Okay, und den Sohn gleich mit, aber nur bis zum nächsten Comic-Strip.

Im Gegensatz zu vielen anderen Werken, besteht Wikinger im Nebel allerdings nicht aus einer losen Comic-Strip-Sammlung, sondern bietet eine in sich schlüssige, aufbauende Geschichte. So werden amüsante Szenen zu einem großen Ganzen verbunden, manche Running-Gags wie die Ente (kein Spoiler an dieser Stelle) ziehen sich gar durch die 64 Seiten. Während die Frauen sich zuhause durchaus vergnügen, muss die Wikingerbande allerhand durchstehen und ein Bündnis mit einem anderen, mehr als zwielichtigen Wikinger schmieden, bevor sie am Ende, ja, die Welt ist im Wandel und die Männer verstehen ihre Frauen, ihre klägliche Beute nicht nach Hause bringen, sondern verkaufen. Zumindest größtenteils.

Ob Wikinger im Nebel das Potenzial zum neuen Hägar hat? Nun, die Geschichte und der Humor haben durchaus ihren Reiz, es gibt viel zu entdecken, zu schmunzeln, zu erfahren. Was ein bisschen auf der Strecke bleibt, ist die Entwicklung der Figuren, die noch nicht den Charme von Hägar, Helga, Honi, Hamlet und wie sie alle hießen, besitzen. Aber: Es ist ja erst Band 1. Kann also gut sein, dass Wikinger Reidolf, seine Familie und seine Crew uns allen noch schwer ans Herz wachsen werden in den kommenden Jahren.