Ehrlich und einfühlsam

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kleine hexe Avatar

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Während der Lektüre weiter Teile des Romans, ist mir wieder einmal aufgegangen, was für ein Glück ich mit meiner Schwiegermutter habe. Seit 31 Jahren hat sie mir nie gezeigt, wie man Fenster "richtig" putzt, mit Zeitungspapier, und auch nicht wie eine gebügelte Tischdecke zusammengelegt werden muss. Wobei ich aus der Großstadt kam und sie im ländlichen Milieu gelebt hat. Danke Mama!!!
Ich habe Marlies bedauert. Lisbeth hat immer nur gesehen, was sie nicht „richtig“ tat, all das viele andere aber, das Marlies schaffte, war nichts in ihren Augen. Dass sie im Stall und auf dem Acker einen Arbeiter ersetzte, zählte nicht. Aber was hätte Marlies auch tun sollen? Kein Handgriff, den sie im Haushalt tat, war Lisbeth recht. Konrad, der Jungbauer und ihr Mann, hat ihr kein einziges Mal beigestanden, kein einziges Mal für sie Partei ergriffen. So kam es, dass Marlies versuchte es Mann und Schwiegermutter recht zu machen, zu allem schwieg, sich zurückzog, eine Fremde im Haus und Dorf blieb. Nicht einmal ihre Aussteuer durfte sie auspacken, Lisbeth hatte alles und es kam ihr nie in den Sinn, der jungen Frau anzubieten, ihrem Kaffeeservice oder Tischdecken einen Platz im Haushalt zu räumen. Eines Abends sitzen Lisbeth, Karl, Alfred und Konrad auf der Bank vor dem Haus und genießen ein Feierabendbier. Als Marlies sich hinzugesellt, bietet ihr keiner an, für sie auch auf der Bank Platz zu machen oder ihr einen Stuhl zu holen oder auch nur eine Bierflasche. Aber als sie dann weggeht, sieht ihr Lisbeth hinterher und versteht nicht, warum sie lieber im Zimmer hocken will.
In über 20 Jahren Ehe haben Marlies und Konrad keinen Abend gemeinsam irgendwo verbracht. Immer und nur in der Küche des Bauernhauses. Sie gingen kein einziges Mal aus, Tanzen, ins Restaurant, haben nie eine Reise unternommen. Und Marlies hat alles geduldig und ohne Widerworte ertragen.
Leider gestaltete sich dann das Verhältnis auch zu ihrer Tochter schwierig. Marlies wollte für Joanna ein freies, selbstbestimmtes Leben. Aber irgendwie hat sie es nie geschafft, ihr das auch so zu erklären. Sie war die Einzige, die das Gymnasium für Joanna durchsetzte, von einem Studium sprach, nie eine Aussteuer für ihre Tochter sammelte. Joanna sollte keinesfalls allein in der Ehe ihre Erfüllung finden. Nun, Joanna wird in der Tat ihren eigenen Weg gehen. Als Enkelin hat sie ein entspanntes Verhältnis zu ihrer Großmutter, so wie sie es eigentlich nicht zu ihrer Mutter hatte. Lisbeth die ständig Regeln für Marlies aufsetzte, wird sie keinesfalls bei Joanna anwenden. „Ach, und überhaupt. Mit den Regeln würde sie Joanna höchstens vertreiben. Nein, das wollte sie auf keinen Fall. Das konnte niemand wollen.“ (S. 273)
Bezeichnend ist, als Marlies sich entschließt den Bethches-Hof zu verlassen, zeigen weder Konrad noch Lisbeth auch nur eine Spur von Bedauern, keiner äußerte auch nur eine leise Andeutung, sie solle doch bleiben, dies sei auch ihr zu Hause.
Und so kommt es, Marlies verlässt den Hof ihres Mannes, wie sie gekommen ist, mit ihrer noch in den Originalkartons verpackten Aussteuer. Sie wird zwar zu Besuch kommen, aber nur weil es die Tochter so will. Auf dem Hof und im Dorf war sie stets eine Fremde gewesen. Sie hat nie richtig dazugehört. Konrad hat ihr dieses Gefühl nie richtig vermitteln können.

Ute Mank hat einen sehr feinfühligen Roman verfasst. Die Sprachlosigkeit, mit der Marlies, Lisbeth und Konrad zu kämpfen haben, ist ergreifend. Manchmal hätte ich ihnen zugerufen, sie sollen doch mal aus dieser Stimmlosigkeit ausbrechen, sich mal den Frust und die Wut und den Ärger und all die Zweifel von der Seele reden. Aber nein, alles bleibt wohlbehütet tief im Innern verborgen. Und dies versteht es Mank meisterhaft zu zeigen. All das Ungesagte, wird in halben Sätzen angedeutet, skizziert, wie eine leichte Federzeichnung. Dabei ist nichts leicht in diesem Roman, nicht das Leben, nicht die Arbeit, die nie ein Ende nimmt.
Ein lesenswertes Buch, nicht nur für jene, die als „Reingeschmeckte“ oder „Zugelaufene“ in eine feste, uralte Dorfgemeinschaft und Bauernhof reingeheiratet haben. Eine Freundin hat als Städterin, in ein fränkisches Bauerngeschlecht reingeheiratet. Ihr Schwiegervater hat es auf den Punkt gebracht: „Ja, auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn!“