Genera- und Traditionen auf dem Bethches-Hof

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
elke seifried Avatar

Von

Lisbeth, Marlies und Joanna, drei Frauen, drei Generationen und ihr Leben auf dem Bethches-Hof, sind der Stoff der den Rahmen spinnt.

„Von dem Moment an, als Marlies ihr in der Stube gegenübergestanden hat und sie versucht hatte, ihr Entsetzen zu verbergen. Mitten in ihrer guten Stube. Das soll die Zukunft auf dem Bethches-Hof sein?, hatte sie gedacht. Künstliche Locken? Schaukelnde Ringe an den Ohren, beinahe so groß wie die, die man den Bullen durch die Nase zog?“

Lisbeth, die nachdem die Brüder im Krieg gefallen sind, als Erbin schon früh Verantwortung für den Bauernhof übernehmen, sich nie irgendwo eingewöhnen musste, lebt für diesen und betrachtet daher mehr als argwöhnisch, als Konrad sich in Marlies verliebt und darauf besteht, sie zur Frau zu nehmen. Die muss sich nun aber als Schwiegertochter eingewöhnen und das wird äußert hart, denn mit ihrem Einzug beginnt ein stiller und stets schwelender Konflikt zwischen den beiden so unterschiedlichen Frauen, an dem auch die Geburt von Joanna nichts ändern wird.

Der Roman wird abwechselnd aus Lisbeths und Marlies Perspektive erzählt, was einen als Leser beide Frauen verstehen lässt. Ich habe das Leben auf dem Hof lange vor allem mit Marlies durchlebt, konnte am meisten mit ihr fühlen und habe mich stets in ihre Lage versetzt. Angekommen, nicht willkommen, jemand der es von klein auf jedem Recht machen will, eigentlich nach Bestätigung sucht und diese nicht findet, hat sie mir oft leidgetan. Ich konnte ihre Selbstzweifel, „Was wenn sie einfach irgendwie verkehrt war und all die anderen recht hatten.“, nur zu gut nachvollziehen. Nicht ganz so glücklich war ich dann aber mit der Entwicklung, die der Roman gegen Ende nimmt, als Joanna nach einen Auslandsjahr, zu dem sie zu Beginn des Romans aufbricht, wieder aus Namibia zurück ist. Da war ich einfach nur abgrundtief von Marlies enttäuscht, habe meine Sympathien eher an Lisbeth übertragen, und ein wenig Lesevergnügen eingebüßt. Grandios dargestellt sind dennoch alle Charaktere, besonders auch Lisbeth, die einfach auch nicht aus ihrer Haut kann, so verletzend ihr Verhalten auch sein mag. Die Autorin zeichnet alle Darsteller mit ihren Eigenheiten und inneren Kämpfen äußerst authentisch, glaubwürdig und echt. Ganz viel transportiert sie dabei mittels Szenendarstellung und weniger durch Worte, denn die Kommunikation unter den einzelnen Mitspielern ist äußerst dürftig. Es sind eher die fehlende Gespräche, das Nicht-Aussprechen was einen bewegt, was man möchte, was das Geschehen beeinflusst, das aber trotzdem nicht der Feinfühligkeit und Emotionalität entbehrt, denn Ute Mank vermag sich stilistisch äußerst gekonnt auszudrücken.

„Das Kind einer Magd. Vater unbekannt. So stand es wohl im Taufregister. Vater unbekannt hieß oft, dass ein Bauer Vater war. Einer, der den Mägden, oder vielleicht einer, die ihm besonders gut gefiel, machstellte. Wurde die schwanger, musste der Bauer sich ja nicht dazu bekennen. Die Magd würde schon nicht wagen, ihn als Vater anzugeben. Und wenn, stand das Wort eines angesehenen Dorfmitglieds gegen das einer rechtlosen Person. Meist wurde sie entlassen. Welche Bäuerin wollte die von ihrem Mann geschwängerte Magd vor der Nase haben?“ Mit der Erzählung darf man Eintauchen in das bäuerliche Leben seit dem Zweiten Weltkrieg bis heute und erfährt so von alten Traditionen genauso wie von Innovationen, an die es sich zu gewöhnen gilt. Skepsis als der erste Traktor das Pferdefuhrwerk ablöst, Probleme mit der Milchquote, die es unbedingt einzuhalten gilt, oder auch die Tatsache, dass inzwischen Landwirte immer mehr Schreibarbeit zu erledigen haben, sind nur drei Beispiele dafür. Mir hat der kleine Einblick gut gefallen, auch wenn ich auf dem Land groß geworden bin und daher für mich nicht alles völlig fremd war.

Ebenfalls gekonnt dargestellt ist die Rolle der Frau im Wandel der Zeit. Lisbeth sowie Freundin Bärbel, sind beides Frauen, die, ganz der Zeit entsprechend, voll in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter aufgehen. Ganz im Gegensatz dazu steht Marlies. Eine Arbeit fern ab Hof annehmen, einen Jagdschein machen, sind alles Dinge, die Frauen ihrer Zeit und in ihrer Umgebung nicht im Kopf herumgeistern sollten. Mit der Rückkehr der Tochter wird zudem gut deutlich, wie sich der Einfluss von Konventionen auf das Handeln von Generation zu Generation verändert bzw. auch verringert hat.

Gelungen fängt die Autorin die Atmosphäre in dem kleinen Ort ein. Der Dorftratsch, die Erwartungen, das „Was sollen die Leute denken“, all das, was das Handeln und die Entscheidungen beeinflusst, und die Konventionen, die so vielen den Weg vorgeben, werden gekonnt transportiert. Auch wie es den beiden Frauen und anderen damit geht ist eingefangen. „Marlies sah die Hausener Frauen vor sich, genau wie Lisbeth sie vor sich gesehen hatte. Nur war Marlies wütend auf sie. Auf diese lächelnden Sittenwächterinnen. Diese Frauen, die sich den ungeschriebenen Regeln einfach gebeugt hatten. Du sollst keine unweiblichen Neigungen haben. Du sollst nichts wünschen. Du sollst nicht begehren des Mannes Freiheit. Aber es war eine hilflose Wut. Kein Selbstbewusstsein.“

Alles in allem ein leiser, unaufgeregter Roman, der zwar keine spektakuläre Handlung, dafür aber eine äußerst gelungene Gesellschafts- und Charakterstudie aus dem bäuerlichen Leben zu bieten und der mich damit durchaus gut unterhalten hat. Für fünf Sterne reicht es bei mir wegen der Entwicklungen gegen Ende nicht mehr ganz, aber sehr gute vier sind es allemal.