Selbstbestimmung versus Tradition

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Ute Mank – Wildtriebe

Das Leben auf dem Bauernhof über Generationen hinweg im Fokus von drei starken Frauen: Lisbeth, die unverhofft mit 17 zur Erbin wurde und nicht darüber nachdachte, Verantwortung zu übernehmen. Marlies, die einen Bauern geheiratet hat, ohne sich tiefere Gedanken über die damit verbundenen Konsequenzen zu machen und Joanna, die in den Hof hineingeboren wurde, die aber im Gegensatz zu den anderen beiden einer Generation angehört, die die Wahl hat. Die Männer der Geschichte haben Nebenrollen.
Es wird nicht viel geredet auf dem Hof, nur das, was nötig ist. Der Alltag wird bestimmt durch das, was getan werden muss, lange Zeit ohne Reflektion und ohne Zweifel, denn dafür ist keine Zeit. Lisbeth, die älteste Generation, lebt in ihrer gewohnten Welt, bestimmt vom bäuerlichen Rhythmus und den Erwartungen der Dorfgemeinschaft. Marlies gefällt das nicht, doch wehrt sie sich auch nicht. Sie ordnet sich weitestgehend unter, schafft sich ein paar kleinere Freiräume, doch nicht ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Damit bleibt sie immer die Außenseiterin, die nur bedingt dazu gehört. Joanna nimmt als moderne, selbstbestimmte Frau das Hofleben mit den Menschen an, es ist von Anfang an ihr Zuhause. Marlies und Lisbeth setzen ganz unterschiedliche Erwartungen in sie, beide werden überrascht.
Der wirtschaftlichen Veränderungen des Hofes verändern die Rahmenbedingungen für alle und werden damit zur Befreiung jeder Frau auf ihre Weise. Ich finde nicht, dass das Bild der Wildtriebe dazu passt. „Wildtriebe… Dünne Ästchen, die mitten aus dem Stamm herauswuchsen. Entfernte man sie nicht, ließ man sie wachsen, konnten sie den Baum mit der Zeit sogar zum Absterben bringen.“ In Lisbeths Generation wurde die Abweichung von der Norm so verstanden. Jeder hatte seine Aufgabe zu erfüllen oder der Hof und damit das Leben funktioniert nicht. Dass das Hofleben ein Ende findet, liegt aber nicht an den Frauen, sondern an den wirtschaftlichen Umständen. Am Ende bleiben drei starke Frauen.
Der Roman liest sich gut, der Perspektivenwechsel von Marlies zu Lisbeth erzeugt Verständnis für beide, Verständnis, das sie füreinander nicht aufbringen können, weil sie nicht miteinander reden und sich nicht miteinander auseinandersetzen (können). Manchmal gibt es Passagen, in denen Sätze einer indirekten Rede nicht zuende geführt werden. Das verstärkt zwar den Eindruck, dass nur das Nötigste besprochen wird, weil alles andere den anderen sowieso klar ist (oder so glauben sie), empfinde ich im Lesefluss jedoch als eher störend.
Ich gebe vier Sterne, weil mich die Geschichte teilhaben lässt an einem Leben, das mir so im Detail bisher verborgen war. Sie ist gut erzählt, die Entwicklung der Frauen ist subtil ohne Plattitüden, glaubhaft und manchmal überraschend. Klare Leseempfehlung!