Vieles kommt mir aus meiner Familiengeschichte bekannt vor, allerdings habe ich auch Kritik

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dark rose Avatar

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Joanna, Tochter und Enkelin verlässt den Hof der Familie, um ein Jahr auf einem Hof in Afrika zu arbeiten. Sie will etwas von der Welt sehen, Abenteuer erleben, sich selbst finden, sich ausleben.
Ihr Weggang sorgt dafür, dass ihre Mutter daran erinnert wird, wie es damals war, als sie ihren Konrad heiratete und sie so gar keine Ahnung vom Hofleben hatte. Wie sie ihrer Schwiegermutter nichts recht machen konnte – das kann sie, wenn man ehrlich ist, bis heute nicht. Wie sie versuchte ihren Platz zu finden, ohne sich selbst zu verlieren.
Lisbeth versucht die Traditionen festzuhalten. Auf einem Hof wurden eben bestimmte Dinge auf eine bestimmte Art gemacht. Schon immer. Lisbeth hatte den Hof geerbt, nachdem ihre beiden älteren Brüder im Krieg gefallen waren und plötzlich musste sie alles allein bewältigen.


Man merkt bei dem Buch, dass es schwierig ist, wenn mehrere Generationen unter einem Dach leben. Joanna will zum Beispiel Abenteuer erleben, anstatt zu studieren, sie weiß es ja nicht einmal zu schätzen, dass sie Abitur machen durfte! Was hätte ihre Mutter darum gegeben, hätte man ihr das damals gestattet! Doch Mädchen mussten dankbar sein, wenn sie eine Lehre machen durften – Abitur! Das kam gar nicht in Frage.
Lisbeth kann auch nicht verstehen, warum die Enkelin ausgerechnet in Afrika auf einem Hof arbeiten will, wenn sie doch den Hof daheim wiederbeleben könnte. Alles ging den Bach runter, seit ihr Konrad diese Marlies angeschleppt hatte. Die war einfach nicht für das Hofleben geeignet! Ein piekfein herausgeputztes Modepüppchen, das auch noch arbeiten gehen wollte nach der Hochzeit, statt auf dem Hof zu helfen, dabei gab es da doch genug zu tun und nötig hatten sie das zusätzliche Geld auch nicht!

Es reiht sich Erinnerung an Erinnerung. Abwechselnd folgt man Marlies und Lisbeth, jeder Absatz entweder „Gegenwart“ oder verschiedene Stationen der Vergangenheit. Wäre das Buch in Kapiteln gegliedert worden, wäre mir die Orientierung leichter gefallen. So haben mich die Sprünge manchmal ziemlich rausgeworfen.

Aber mich hat das Buch vor allem an das erinnert, was mir meine Omas und meine Mutter von früher erzählt haben. Meine Urgroßeltern mütterlicherseits hatten einen sehr kleinen Hof, gerade groß genug, um beide Weltkriege zu überstehen. Aber alles im Dorf musste auf eine bestimmte Art und Weise gemacht werden. Meine Oma musste nach dem Krieg heiraten - das machte man eben so. Der kleine Hof verschwand, der Erbe, der Bruder meiner Oma war gefallen. Meine Mutter galt als Exotin im Dorf, weil sie auf die Handelsschule gehen durfte und später in der Stadt arbeitete. Das gab Getuschel! Und ich hatte schließlich alle Freiheiten Abitur zu machen und zu studieren - undenkbar noch für meine Mutter.
Auch meine andere Oma hat mir so einiges erzählt - bei ihr ging es aber um die Schwiegermutter, der sie nichts recht machen konnte. Sie konnte nicht "richtig" kochen, wusch die Wäsche falsch, kümmerte sich nicht richtig um ihre Kinder, etc.
Warum ich all das erzähle? Weil ich so gut nachvollziehen kann, wie schwierig die Situation damals war. Die Einschränkungen, die strengen Regeln durch die Dorfgemeinschaft und die Gesellschaft. Die kleinen Freiheiten, die man sich hart erkämpfen muss und immer wieder die Reibungspunkte mit der Elterngeneration, die eben ganz andere Vorstellungen hatten.

Fazit: Ich kann das meiste so gut nachvollziehen, was in diesem Buch geschildert wird. Marlies gibt sich Mühe, aber sie stammt aus einer anderen Welt. Sie kann Lisbeth nichts recht machen. Die lebt für den Hof und ihre Art zu Leben und kann nicht verstehen, warum Marlies ständig diesen modernen Kram anschleppen muss.
Ein Missverständnis jagt das nächste und beide denken, die jeweils andere lehnt sie ab und gibt sich keine Mühe. Dabei gibt es durchaus Momente der Anerkennung, doch keine von beiden macht den Mund auf.
Dazu kommen noch die strengen Regeln der Zeit, die es keiner der beiden Frauen je leicht gemacht haben. Jede Generation musste sich ihre kleinen Freiheiten hart erkämpfen, doch die hatten immer einen Preis und vieles war dennoch einfach nicht möglich. Während Lisbeth das Hofleben liebt, fühlt sich Marlies oft genug gefangen.
Joanna ist einerseits noch moderner und freiheitsliebender als ihre Mutter, steht aber ihrer Großmutter näher.
Wären die vielen Sprünge nicht gewesen und die fehlenden Kapitel wäre das Buch deutlich besser zu lesen gewesen, so musste ich mich immer erst mal orientieren.
Der Inhalt ist gleichermaßen faszinierend und ernüchternd. Letztlich ist das Buch ein Stück Geschichte, ein Zeugnis über zwei, streng genommen sogar drei Generationen von Frauen, deren Lebensumstände und Schwierigkeiten bald vergessen sein werden, obwohl sie so viele teilten.
Allerdings hat das Buch für mich einen Logikfehler.

Von mir bekommt das Buch 3 Sterne. Es liest sich sehr gut, aber die Art des Erzählens ist teilweise sehr speziell und nicht immer ganz einfach. Mir war das Buch insgesamt zu melancholisch. Ich kann die Konflikte nachvollziehen, aber könnte jetzt nicht sagen, dass mir die Protagonisten sympathisch waren. Zudem war das Ende nicht so ganz meins. Warum kann ich aber nicht verraten – ich will ja nicht spoilern.