Total irres Buch!

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kindder80er Avatar

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Ich stehe absolut auf schräge Geschichten, weswegen ich mich auch so richtig auf diese Leseprobe gefreut habe! Und ich wurde wirklich nicht enttäuscht: Diese Geschichte IST schräg! ;-)

Im ersten Handlungsstrang geht es um Jackie, die ein Pfandhaus betreibt. Sie ist seit Jahrzehnten 19 während ihre Freunde, die sie wohl doch irgendwann mal hatte, schon längst alt geworden sind. Sie öffnet und schließt ihr Pfandhaus nach Gefühl und egal, was man bei ihr verpfändet - sie bietet immer zuerst 11 Dollar. Manchmal gibt es aber auch eine durchgeschlafene Nacht oder die Vorstellung von Zeit. Manchmal gibt es aber auch nur 5 Dollar für einen Mercedes... Eine Träne bringt dagegen die besagten 11 Dollar. Nachdem man sein Pfand abgegeben hat, stirbt man - aber nur für eine kurze Weile, währenddessen erledigt Jackie schonmal den bürokratischen Akt des Verpfändens und füllt die Scheine aus. Alles muss schließlich seine Ordnung haben.

Eines Tages kommt ein Mann zu ihr ins Pfandhaus, der lediglich einen Zettel mit der Aufschrift "King City" verpfänden möchte. Das Merkwürdige an ihm ist (sofern überhaupt noch irgendetwas in diesem Buch, bzw. diesem Universum besonders merkwürdig erscheinen kann), dass sich Jackie sobald sie wegschaut nicht mehr an ihn erinnern kann. Auch auf die mehrmalige Frage, wie denn sein Name sei, antwortet er während seines kurzen Besuchs stets anders und sie kann sich jedes Mal nicht daran erinnern. Auch den Preis, den sie ihm bezahlt ist vergleichsweise hoch...

Der zweite Handlungsstrang erzählt von einem Haus, das denken kann und eine Mutter mit ihrem Sohn beherbergt. Darüberhinaus wohnt auch noch unerkannt eine anonyme Frau darin, aber das ist eine andere Geschichte...

Das Buch wendet sich immer wieder an den Leser, aber bei der "Vorstellung" des Jungen musste ich schon sehr schmunzeln:

"Stellen Sie sich einen fünfzehnjährigen Jungen vor.
Nö. Das war total daneben. Versuchen Sie es noch einmal.
Nein.
Nein.
Okay, aufhören.
Er ist groß. Er ist mager, hat kurzes Haar und lange Zähne, die er absichtlich verbirgt, wenn er lächelt. Er lächelt mehr als er denkt.
Stellen Sie sich einen fünfzehnjährigen Jungen vor.
Nein. Noch mal.
Nein. Nicht mal annähernd. ..."

Die Rede ist von Josh, einem Gestaltwandler, weswegen man ihn sich auch nicht so richtig vorstellen kann. Zusammen mit seiner Mutter Diane lebt er eigentlich ein ganz normales Leben als Teenager. Die Launenhaftigkeit eines Teenagers wird als Gestaltwandler aber noch sichtbarer, als sowieso schon. Ständig sieht er anders aus und will sogar als Wolfsspinne von seiner Mutter das Autofahren beigebracht bekommen. Die Einwände, dass man schon mit den Füßen ans Pedal kommen sollte, sieht er irgendwann ein und verwandelt sich wieder in so etwas wie einen Menschen. (Wem jetzt noch nicht der Kopf raucht, dem sei hiermit recht herzlich gratuliert! ;-))

Diane ist Datenbankverwalterin und fügt Informationen, Fotos, Geschichten über Menschen mit deren Nummern zusammen: Für sie aktuell die beste Möglichkeit, Menschen "kennenzulernen". Ihre Firma verkauft Sachen, über die Diane aber nicht Bescheid weiß. Manchmal wüsste sie es gerne, aber im Grunde auch nicht. Durch ihre Arbeit bekommen die Menschen sehr persönliche Werbemails und bedanken sich dafür auch brav. Alle sind glücklich: Die Firma, die Menschen, Diane...? Immer wieder blieb mir beim Schmunzeln ein kleiner Kloß im Halse stecken: Die Randnotiz, dass bei Abschiedsfeiern der Firma scheidende Mitarbeiter auf eine mit Bienen gefüllte Pinata einprügeln mussten, ist vielleicht ein Nebensatz, aber das Buch ist proppevoll mit Nebensätzen solcher Art! Manchmal muss man Abschnitte drei Mal lesen, um jedes Detail zu erfassen.

Immer wieder tauchen mysteriöse, sonnenbebrillte Männer einer bedrohlichen Behörde auf, die die Bewohner beobachten und ausspionieren. Jackie möchte bald den Mann wieder finden, der ihr den Zettel mit "King City" verpfändet hat, um ihn ihm zurückzugeben, da sie kein gutes Gefühl hat und "die Welt" bei ihr droht, Einzug zu halten. Das muss sie laut aussprechen und die nebulösen Männer schreiben brav mit. Jackie versucht auch mehrfach den Zettel zu zerstören, aber taucht immer wieder unversehrt in ihrer Hand auf.

Die Radionachrichten sind auch nicht von schlechten Eltern: Ein Erholungsgebiet für die ganze Gemeinde, das niemand betreten, ansehen oder man gar denken soll - falls es jemand versucht zu betreten, wird er gezwungen hinein zu gehen und nie wieder gesehen werden. Auch das neue Geschäft für Gartenschnäppchen und Maschinenteile, was der Regierung dabei hilft, all die misslungenen Tests und gefährliche Substanzen loszuwerden, die ja sonst nur ungenutzt in einem Betonsarkophag verwahrt werden müssten, ist ein "netter", offen kommunizierter Einfall.

Insgesamt ist es ein Buch, das stark polarisieren wird. Es ist ein Buch, das beim Lesen sehr fordert und nicht nur einmal ganz, ganz viele Fragezeichen im Kopf aufwerfen wird. Selbst ich musste sehr oft den Kopf schütteln, aber ich fand das großartig! Verwirrung auf hohem Niveau! ;-)