Wie geht's weiter?

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Es ist vorbei, und nun weiß Ida nicht so recht, was sie machen soll. Nach dem Tod ihrer Mutter fällt sie in ein tiefes Loch, doch schließlich entschließt sie sich zu einem Abschied. Sie verlässt ihre Heimatstadt und fährt blindlings drauf los, zunächst in Richtung Hamburg, die Stadt, in der ihre große Schwester Tilda mit ihrer Familie wohnt. Doch sie lässt sich weiter treiben, bis auf die Insel Rügen. Als sie den Kneipenwirt Knut und dessen Frau Marianne kennenlernt, scheint es das Schicksal das erste Mal seit langem gut mit ihr zu meinen. Die beiden lassen sie bei sich wohnen, im alten Kinderzimmer ihrer Tochter Mandy. Kurz spürt Ida so etwas ähnliches wie Unbeschwertheit. Und schließlich ist da auch noch Leif, der sie aus seinen grünen Augen gleichzeitig so innig an- und durch sie hindurchzuschauen scheint. Eine Hiobsbotschaft von Marianne bringt das fragile Sicherheitsgebäude rund um Ida gefährlich ins Wanken. Wird Ida genug Kraft haben, um sich dem (neuen wie auch dem alten) Leben mit allen Konsequenzen zu stellen?

„Schreiben und Geschichten waren irgendwie meine Sprache, mein Ding. Und flüchten funktionierte mit Geschichtenerzählen fast noch besser als mit Lesen. Weil ich mich konzentrieren musste. Wichtig war nur, dass es nie um mich ging“ (S. 228)

Gerade einmal ein Jahr ist es her, dass Caro Wahl mit ihrem Debüt „22 Bahnen“ gehörig Furore machte, die Bestseller-Listen eroberte und ein um den anderen Preis sowie zahlreiche Leser*innen-Herzen einheimsen konnte. Ihr zweiter Roman „Windstärke 17“ erzählt die Geschichte nun weiter, lässt uns Tildas kleiner Schwester Ida auf der Identitätssuche nach dem Tod der Mutter folgen. Doch kann so eine Fortsetzungserzählung aufgehen, ohne zu soapig-cliffhangerig zu wirken? Oh ja, definitiv, und wie!

Mit der ihr eigenen erzählerischen Leichtigkeit, die niemals die Tiefe ihrer Figuren vermissen lässt, schickt Caro Wahl ihre Ida auf einen Trip in eine ungewisse Zukunft. Auf der Insel Rügen angekommen scheint sie zunächst völlig auf sich allein gestellt, ergreift aber die Gelegenheiten, die sich ihr bieten, beim Schopfe und heuert kurzerhand in Knuts Kneipe an. Schon der Weg dorthin ist von zahlreichen Introspektiven aus Idas Kopf gepflastert, Überlegungen, Überforderungen, verlorene Überzeugungen. Ganz sachte und vorsichtig gewinnt sie eine gewisse Sicherheit, der sie jedoch niemals so ganz trauen mag, zurück. Knut, Marianne und auch Leif, der selbst auf eine familiäre Instabilität blicken muss, werden für Ida zur Zweit- und Wahlfamilie, ein Rückhalt, der ihr in der letzten Zeit massiv gefehlt hat. Und der ihr nun Chancen einräumt, einen Neustart zu wagen. Caro Wahl schafft es auch in „Windstärke 17“, uns ganz in ihre Erzählwelt hineinzuziehen. Wie schon beim Vorgängerroman hat sie dabei keinerlei Angst vor ästhetischen Experimenten wie Repetitionen von Gedanken, die dann eins zu eins auf gleiche Weise im Dialog auch „laut“ geäußert werden. Das könnte schnell redundant oder amateurig wirken, doch die stilistische Sicherheit und Eigenständigkeit von Wahl lässt diesen Eindruck zu keinem Zeitpunkt aufkommen. Ganz im Gegenteil: Der feine Humor, gepaart mit mehreren Prisen Ironie und Zynismus, schiebt sich immer wieder subtil in den Vordergrund, lässt die Schwere der Thematiken zeitweise vergessen, ohne sie aber je zu entwerten.

Mit „Windstärke 17“ ist Caro Wahl ein würdiger Nachfolger gelungen. Auch wenn mir „22 Bahnen“ aufgrund des Innovationsgrades der damaligen Leseerfahrung noch ein klein wenig besser gefallen hat, so bleibt Wahl ihren Qualitäten treu und findet bereits jetzt zu einer eigenen Stimme, die sich mit Sicherheit auch in kommenden Romanen und Stoffen noch weiter ausdifferenzieren wird. So kann ich voller Überzeugung sagen, und das, obwohl ich beim Vorgänger so unsicher war, ob ich Teil der Zielgruppe sei: Ich mag Caro Wahl!