2/3 Atmosphäre, 1/3 Krimi

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singstar72 Avatar

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Monsieur le Commissaire Luc Verlain war mir bisher nicht bekannt, obwohl dies bereits sein dritter Fall ist. Ich würde sagen, ich habe recht gerne seine Bekanntschaft gemacht. Dennoch war es keine „große Liebe auf den ersten Blick“, und für mich rangiert das Erlebnis auf einem wohlwollenden mittleren Level – aber nicht mehr.

Es fängt schon damit an, dass ich das Buch nicht recht zu beschreiben wüsste. Der Fall an sich ist, aus kriminalistischer Sicht, recht mittelmäßig. Nicht übermäßig spannend. Es wird ganz einfach ermittelt, irgendwann kommen ein bis zwei Hinweise an, welche die Leute zurückgehalten haben – und das war‘s dann auch schon. Am Ende ist es fast genau so, wie man es sich lange Zeit schon gedacht hat. Zudem ist mir persönlich das Thema einfach fremd. Das ganze Buch dreht sich rund um die Austernzucht, was bei mir höchstens ein Naserümpfen weckt. Ich finde es – auch nach der Lektüre – immer noch höchst widerwärtig, ein lebendes und noch dazu schleimiges Lebewesen zu verspeisen. Aber gut, das hat letztlich mit dem Können des Autors als solchem nicht zu tun.

Können besitzt der Autor durchaus; das will ich ihm nicht absprechen! Man merkt, dass er lange in Frankreich gelebt hat. Sitten und Gebräuche, das Wetter, die Landschaft, die Mentalität der Menschen, und vor allem die Lust der Franzosen an ihren kulinarischen Köstlichkeiten – das alles weiß er lebendig zu beschreiben. Man spürt ebenfalls deutlich die Liebe zur Fischerei und zum Meer. Allerdings würde ich sagen, das Buch besteht zu 2/3 aus Atmosphäre, und nur zu 1/3 aus Krimi.

Die Struktur des Krimis ließ mich anfangs noch hoffen. Sehr schön gemacht finde ich den Prolog, der aus „Miniaturen“ besteht, aus einzelnen Handlungsfäden, auf deren Auflösung man als Leser gespannt hofft. Ein schneller Blick ins Buch zeigte mir, dass die Handlung nach Tagen aufgeteilt ist – und zwar die letzten vier Tage vor Weihnachten. Das macht insofern Sinn, als die Hektik und Spannung vor dem Fest gut rüberkommt. Denn in Frankreich verspeist man mit Vorliebe zum Fest – ja genau, eben Austern. Das fand ich also logisch gut gelöst.

Allerdings zieht es sich ab der Mitte doch arg; es geschieht einfach nicht sehr viel. Den Schluss finde ich merkwürdig, übereilt, und einen bestimmten Cliffhanger habe ich auch nicht verstanden. Ich vermute, hierfür müsste man die Vorgänger-Bände kennen. Und eine gewisse romantische Wendung fand ich gegen Ende einfach unnötig!

Leider enthält das Buch auch definitiv Fehler – das sieht für mich nach einem ungenügenden Lektorat aus; was ich vor allem beim Hoffmann & Campe Verlag erstaundlich finde…! Beispiele.
* Ein Verdächtiger wird über das Auffinden von zwei Toten namentlich unterrichtet. Drei Seiten später fragt er, wer denn die Toten seien… (kein Witz!)
* Luc Verlain hat einen baskischen Kollegen, der in einem früheren Fall verletzt wurde. Diese Geschichte wird an zwei (!) Stellen des Buches erzählt; in Teilen fast wortgleich…! (Außerdem finde ich, diese Nacherzählung enthält Spoiler, sodass man den Vorgänger gar nicht mehr zu lesen braucht)
* Luc veranstaltet mit einigen Helfern einen vorgetäuschten Diebstahl von Austern, um gewisse Personen anzulocken. Sie beladen ein ganzes Boot mit Austern. Die Personen kommen auch, und werden – leider erfolglos - bis zum Hafen verfolgt. Und dann – gehen alle nach Hause! Und was wird mit den Austern?? Bleiben die einfach auf dem Boot??
* An zwei Stellen ist die Handlung für mich umständlich und unlogisch. Man sitzt in einer gewissen Runde. Und am Abend oder nächsten Tag werden zwei der Personen umständlich wieder kilometerweit herangekarrt, um sie zu einem Sachverhalt zu befragen. Warum hat man das nicht gleich gemacht??

Wie gesagt, lande ich am Ende bei immer noch wohlwollenden drei Sternen. Der Charme der Beschreibungen, die Atmosphäre, hat es dann wieder etwas ausgeglichen. Als Krimi konnte mich das Buch jedoch nicht wirklich überzeugen.