Raunächte auf einer eingeschneiten Nordseeinsel

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krimielse Avatar

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"Ist das Zentralgestirn fort, müssen die Sterne sich neu sortieren."
Dies ist für mich der zentrale Satz, um den sich der Familienroman dreht.

Die 80jährige Inge Boysen ist tot - oder eigentlich nicht richtig, nur ganz kurz. Die Schwiegertochter trommelt in dem Glauben an den Tod von Inge die Familie zusammen. Diese trifft sich daraufhin kurz nach Weihnachten in Inges Haus Tide, einem einsam gelegenem altem Haus auf einer Nordseeinsel. Ein Schneesturm hält alle auf der Insel vier Tage lang bis zur Neujahrsnacht fest, in dieser Zeit setzen sich Inges Kinder und Schwiegerkinder mit ihren Konflikten und Problemen auseinander.

Man erhält mehr oder weniger tiefe Einblicke in die Probleme, Gefühle und in die Seelen der Protagonisten und begleitet sie in der Zeit der Rauhnächte zwischen den Jahren.
Alle (außer Inge, die trotz ihres nicht stattgefundenen Tode schwer krank und sehr geschwächt ist) müssen Entscheidungen über ihre Zukunft treffen, ob sie ihr bisheriges Leben so weiterleben wollen/können oder nicht.
Geheimnisse kommen ans Licht, saubere weiße Fassaden bröckeln, auch der nicht zum Treffen erschienene jüngere Sohn von Inge Boysen, der zur See fährt und sich auf der anderen Seite der Welt befindet, trifft eine Entscheidung, die einen Wendepunkt in seinem Leben bedeuten wird.

Die Autorin benutzt sehr geschickt das Familienheim Haus Tide als Sinnbild für die Entscheidungen, die die Protagonisten treffen, ob es Bestand haben wird und in Familienbesitz bleibt oder ob es wegen der Verteilung des Erbes auf vier Kinder verkauft werden muss.

Die Grundidee hat mir sehr gut gefallen, eine Familie mit all Ihrem Geheimnissen und Problemen sitzt vier Tage lang auf engem Raum fest, wobei Konflikte zutage treten und Entscheidungen anstehen.
Die Autorin hat aber meiner Meinung nach zu viele Probleme angeschnitten, es gibt kein wirklich "normales Familienmitglied". Manche Probleme sind dabei glaubhaft und nachvollziehbar, andere erscheinen mir zu knapp umrissen oder zu weit hergeholt.
Insgesamt ist es mir einfach zu viel gewesen, auch wenn der Grundgedanke des Buches ein offenes Ende zulässt. Besser hätte es mir gefallen, wenn ich von weniger Geheimnissen erfahren hätte, die erzählten Probleme aber tiefer und ausführlicher angelegt worden wären.

Der Schreibstil ist ansprechend und gut verständlich. Beschreibungen lassen vor meinem Geist Bilder der Insel und des Meeres und der Zimmer nebst Interieur von Haus Tide entstehen, was mir ausgezeichnet gefallen hat.
Nicht gut gefallen hat mir der manchmal zu schnelle Wechsel der Szenen und das Lesen der Gedanken der Charaktere in wenigen knappen Sätzen. Die angeschnittenen und zitierten Songs wären toll gewesen, wenn eine CD mit den Titeln beigelegt wäre, aber so hat es in meinen Lesefluss nicht immer hineingepasst. Ich habe zwar nach der Lektüre die Playlist am Ende des Buches gesehen, aber leider zu spät.

Fazit:
Es ist für mich ein Buch zum Lesen zwischendurch, das mich durch den Klappentext und durch die ersten paar Sätze sehr fasziniert hat. Leider ist es in meinen Augen im Laufe der Geschichte zu zerpflückt und zu inkonsequent.