Episoden aus dem Leben einer schrecklich netten Familie

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evelynmartina Avatar

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Warum der Debütroman von Philip Teir den Titel „Winterkrieg“ (Originaltitel: „Vinterkriget”) trägt, erschließt sich mir auch nach dem Lesen nicht.

Der tatsächlich in den Wintermonaten 1939/1940 stattgefundene und in die Geschichte als Winterkrieg eingehende Krieg zwischen Finnland und Russland, aus dem weder ein Sieger noch ein Verlierer hervorging, wird zwar im Buch erwähnt, wirkliche Parallelen zur Roman-Handlung konnte ich jedoch nicht erkennen.

Einzig und allein: Die Geschichte der Familie Paul spielt in Finnland und dort im Zeitfenster der Gegenwart von November bis März.
Allerdings führen die Familienmitglieder wahrlich keinen Krieg, ganz im Gegenteil, sie reden erst gar nicht miteinander. Dementsprechend gliedert sich der Roman in eigentlich für sich stehende Kapitel, sprich Episoden aus dem Leben der einzelnen Familienmitglieder, die schlicht aneinandergereiht sind.

Ein in verspäteter Midlife-Krise steckendes Familienoberhaupt, seine dominante Ehefrau mit dem Anspruch, immer und in allen Lebenslagen perfekt zu sein, sowie zwei erwachsene Töchter, die nach dem Sinn ihres Lebens suchen, bilden das Konstrukt einer Familie in einer Zeit und in einer Gesellschaft, in der es, geht man nach Philip Teir, so Einiges zu kritisieren gibt.

Seitenlanges Anprangern des Kapitalismus und Philosophieren über das Glück und die Liebe wirkten auf mich eher ermüdend als unterhaltend und wenig spannend. Anfangs fand ich den Sarkasmus und Zynismus, den Philip Tier an den Tag legt, noch recht amüsant. Später verliert er sich leider, und die Handlung schleppt sich zusehends dahin.
Oft hatte ich beim Lesen den mahnenden und warnenden Finger des Autors vor Augen, nach dem Motto: Schau hin, denk nach und mach es besser!
Als dann neben der Occupy-Bewegung in London und sozialen Missständen in Manila auch noch Auschwitz erwähnt wird, war es für mich einfach des Guten zu viel.

Auch die Figuren, wären nicht zahlreiche finnische Örtlichkeiten eingebaut, deren Namen ich letztendlich überlesen habe, könnten überall angesiedelt sein und sind für mich schablonenhaft, unscheinbar und uninteressant geblieben.

Ich lese gerne Familiengeschichten. Ich lese gerne, wenn in Romanen die heutige Zeit und ihre manchmal grotesken Phänomene beleuchtet und in Frage gestellt werden, aber alles in Maßen.
Philip Teir hat es mit „Winterkrieg“ wohl gut gemeint, aber für meinen Geschmack ein Stück weit übers Ziel hinausgeschossen.