Sollte das schon alles im Leben gewesen sein?

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Um noch in eine Midlife-Krise zu geraten, ist Max Paul reichlich spät dran; sein 60. Geburtstag steht kurz bevor. Der finnlandschwedische Soziologie-Professor war vor Jahren einmal als Experte für Ehe und Familie ein beliebter Talkshow-Gast und wird seitdem von der Presse als finnischer Sexpapst bezeichnet. Doch Max Stern ist längst verblasst, das Buch, das ihn bekannt machte, erschien bereits vor 25 Jahren. Mit seinem aktuellen Buchmanuskript kommt Max nur schwer vom Fleck, so dass sein Verleger ihm heuchlerisch eine junge Frau als Lektorin und Ghostwriterin zur Seite stellt. Max neue Mitarbeiterin ist Laura, die einmal für ein kurzes Semester bei ihm studiert hat. Mit Laura steht dem alternden Max eine Vertreterin der zornigen Generation gegenüber, die sich von den Älteren um ihre Zukunft betrogen fühlen.

Max und seine Freunde haben die Wirtschaftskrise und die daraus folgende Massenarbeitslosigkeit unbeschadet überstanden und ihren gehobenen bürgerlichen Lebensstandard halten können. Die Pauls bewegen sich in Kreisen, in denen man keine Meinung äußert, auch wenn man eine haben sollte, sondern alles “spannend“ findet. Im Privatleben nervt Max damit, dass er das Dozieren auch außerhalb des Hörsaals nicht lassen kann. Diskussionsforen im Internet bieten ihm in schlaflosen Nächten eine Spielwiese für seinen Selbstdarstellungsdrang. Max und seine Frau Katriina haben zwei erwachsene Töchter, deren Lebenswege verblüffend den Trends ähneln, die Max als Soziologe erforscht hat. Tochter Helen hat früh geheiratet, zwei Kinder bekommen und ist voll berufstätig. Die jüngere Tochter Eva beginnt mit 29 gerade ein Zweitstudium der bildenden Kunst. Dass Eva sich noch immer nicht über ihre Ziele im Leben klar geworden ist, hatten ihre Eltern sich vermutlich einmal anders vorgestellt. Auch wenn Max und Katriina bei gesellschaftlichen Anlässen pflichtgemäß den aktuellen Familienstand ihrer Töchter abspulen und von zwei „fantastischen“ Enkeln schwärmen, können ihre Töchter sie nicht glücklich machen. Mit dem Zwang zum Glücklichsein übt Katriina Druck auf sich selbst und andere aus. Max Gattin, die für ein Dienstleistungsunternehmen im Gesundheitsbereich Pflegepersonal in Asien rekrutieren soll, wirkt erschöpft von ihrem banalen Leben. Die Pauls beschäftigen sich mit derart abstrakten Dingen, dass es lachhaft ist, urteilt Max ältere Schwester. Zwischen Max und seiner Frau liegen die Nerven frei, jedes ungeschickte Wort kann das Fass zum Überlaufen bringen.

Die Ereignisse dieses Gesellschafts- und Familienromans beginnen im Winter und eskalieren im Frühling. Der Titel „Winterkrieg“ spielt auf die karelische Geschichte an (1939-1940). Zum bizarren Höhepunkt trägt ein Hamster der Kinder bei, stellvertretend für das wackelige Glücksgebäude der Familie. Glückliche Kinder haben natürlich Haustiere, auch wenn niemand dafür eine freie Minute erübrigen kann. Philip Teir hat mich in seiner Geschichte mit unerwarteten Wendungen und ironischen Untertönen überrascht, damit hatte ich bei einer Figur mit einem so banalen Leben wie Max nicht gerechnet.

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Zitat
„Es war gefährlich, eine Mutter zu haben, die das Recht für sich in Anspruch nahm, im Mittelpunkt des Universums zu stehen, sich in jede Situation einmischen zu dürfen und sich nie für etwas entschuldigen zu müssen. Man begann zu glauben, dass man sich seine Privilegien tatsächlich verdient hatte und dass die Welt einem etwas schuldig war.
Aber das begriff Katriina natürlich nicht. Ihr war nicht klar, dass sie diejenige war, die durch ihre ständigen Ermutigungen, ihr ständiges Gerede, man sollte das eine oder das andere werden, dafür sorgte, dass man sich in einen Menschen verwandelte, der sich nicht mehr mit dem zufrieden geben konnte, was das Leben tatsächlich bot.
So ungefähr dachte Helen. Und sie dachte dabei eher noch an Eva als an sich selbst. Sie dachte, dass Eva nur schwer damit würde umgehen
Können, wenn sie nicht erfolgreich würde.“ ( S. 194)