Ambitioniert ...

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mike nelson Avatar

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Da ich mehr Leser bin als Literaturkritiker steht mir eine Gesamtbewertung des ambitionierten 630-Seiters "Wir die wir jung sind" von der jungen indischen Autorin Preti Taneja, in Großbritannien geboren und aufgewachsen, nicht zu. Die Idee ihres Erstlings ist hervorragend, nämlich den Leser*innen die indische Kultur in all ihren Gegensätzen und Spannungsfeldern näher zu bringen. Es geht zum Einen um das gesellschaftliche Spannungsfeld zwischen Traditionalismus und Moderne, zwischen der Familie als sozialer Gemeinschaft im historischen Wandel und zum Anderen um den machtvollen Einfluss des Kapitalismus, sowie um die Gegensätze zwischen arm und reich, Abhängigkeit und Unabhängigkeit. Diese Spannungsfelder vermag die Autorin auch gut in die Familie des Patriarchen Devraj, Besitzer eines Firmenimperiums, hineinzuverlegen, dabei gelingt es durchaus, die langsame Auflösung der klassischen Mann-Frau-Rollen und des Kastensystems zu beleuchten. Der anstehende gesellschaftliche Wandlungsprozess Indiens spiegelt sich als Handlung wider in der Übergabe des Firmenimperiums an die nachfolgende Generation, die ihre sehr eigenen Vorstellungen hat, sich auch entzieht und verweigert, nach neuen Lebensmöglichkeiten sucht. Soweit - sogut; ein fantastischer Stoff - eigentlich...
Aber: Nach einem recht interessanten Beginn wird das Buch mit seiner Handlung zunehmend zähflüssig wegen zu vieler Details, abschweifenden Erzählens, zu vieler Namen und ganzen Sätzen in Hindi ohne eine Übersetzung; auch bleiben die Figuren relativ blass. Dabei hätten dieWidersprüche einer Gesellschaft in einem derart umfassenden Wandlungsprozess sich wunderbar in innerseelischen Konflikten der Protagonisten widerspiegeln und ihnen so mehr Tiefe geben können. Passagenweise wird das Lesen sehr anstrengend. Literarischer Anspruch und gute Lesbarkeit sollten sich nicht ausschließen!