Indischer Epos - fulminant, überbordernd, anspruchsvoll

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corsicana Avatar

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Dies ist ein Buch über Indien heute - bunt, grausam, tragisch, auf der Suche nach einen Gewinnerplatz in der Welt. Gleichzeitig ist es ein Buch über die ganze Welt - die Suche und Sucht nach Erfolg, nach Anerkennung. Und dann ist es noch ein Buch in der Tradition von Shakespeare - eine moderne Adaption von King Lear.

Ein wenig zu viel? Ja, sicherlich.
Aber gut geschrieben, anspruchsvoll, bildhaft, ein gefühlt sehr "indischer" Stil, da viele Hindi-Worte genutzt werden, viele Bilder, vieles blumig und bildhaft beschrieben wird. Schon am Anfang spürt man die Hitze Indiens, die Gegensätze zwischen dem Kampf ums bloße Dasein und der überspannten Lebensweise der reichen Inder. Und die noch sehr dünne Trennwand, die die moderne Lebensweise der reichen Inder von der Lebensweise ihrer Vorfahren trennt - und ganz schnell ist es wieder wie früher: Patriarchat - und die Mädchen werden von den Eltern verheiratet. Und die Diener werden körperlich misshandelt.

In diese ganze explosive Mischung gerät Jivan, also er nach vielen Jahren in den USA und als Harvard Absolvent nach Indien zurückkehrt. Jivan ist der uneheliche Sohn des Geschäftspartners des Inhabers einer großen indischen Firma, nur "Company" genannt. Es gibt noch einen ehelichen Sohn, Jeet. Und der Inhaber der Firma, Devraj, hat drei Töchter. Und fertig ist das Tableau für das Shakespearsche Drama. Eine der Töchter verweigert sich dem vorgegebenen Weg. Eine will unbedingt an die Spitze. Eine sucht nach der Liebe und ihrem eigenen Weg. Und der legitime Sohn hat ganz andere Probleme.

Devraj wird sich zur Ruhe setzen - und der Kampf um die Nachfolge beginnt. Schon bei Shakespeare geht das nicht gut aus.

Und so entwickelt sich ein tragisches, verstricktes Drama um Liebe, Hass, Familienbande. Und um Geld. Denn wie sagt Jivan am Anfang: Es geht nicht um Land. Es geht um Geld.

Ich selbst war schon zweimal in Indien. Und genauso, wie mich dieses Land jedesmal mit seiner Hitze, Komplexität, Buntheit und Grausamkeit gegenüber dem Leben des Einzelnen erschlägt, so hat mich auch dieses Buch immer wieder quasi erschlagen. Obwohl sehr gut und sehr bildhaft erzählt, so ist es doch anstrengend zu lesen. Es gibt zwar ein Glossar - doch die vielen Hindi-Wörter verwirren. Dazu kommt eine Vielzahl an Andeutungen, die andere Bücher betreffen. Natürlich könnte man das überlesen und es einfach als Bollywood-Tragödie lesen - das schlägt die Übersetzerin im Anhang vor - und vielleicht wäre das gar nicht die schlechteste Idee. Ansonsten kann es sein, dass man (wie ich) monatelang mit der Lektüre beschäftigt ist. Weil man (zu) viel interpretiert, zu viel nachdenkt und damit einfach den Faden verliert.

Aber wenn man in der richtigen Stimmung für anspruchsvolle Lektüre ist, Shakespeare nicht abgeneigt ist und eine gewisse Faszination für Indien verspürt - dann ist es quasi ein Muss, dieses Buch zu lesen.