Die Wege, die das Leben geht

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skadi_v Avatar

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Josie ist 41 und schwanger. Ungewollt, denn Kinder sind für sie kein wirkliches Thema. Vor allem auch, weil ihr Partner Bengt verheiratet ist und auf keinen Fall seine eigene kleine Familie verlassen will. Bengt will, dass sie abtreibt, doch Josie hat Zweifel.
Als sie bei einem Spaziergang einen verlorenen Ehering findet, macht sie die Witwe des ehemaligen Ring-Besitzers ausfindig, um ihn ihr zurückzugeben. So lernt sie Kathi kennen. Die 70 Jährige hat sich die letzten fünfzig Jahre um zwei Dinge gekümmert: ihre Familie und den kleinen Laden. Der existiert schon lange nicht mehr, ihr Sohn Max ist ausgezogen und nun auch noch ihr Mann Werner tot. Kathi muss sich ganz neu im Leben zurechtfinden.
Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus Josies und Kathis Perspektive. Der Stil ist nur leicht verschnörkelt, aber sehr angenehm zu lesen. Alltagshandlungen werden malerisch eingebunden, sodass die Geschichte wirklich ‚lebt‘. Einfühlsam wird das Schicksal dieser beiden ungleichen Frauen, die aneinander Halt finden, erzählt. Nach und nach werden Geheimnisse aus der Vergangenheit der beiden aufgeklärt – Geheimnisse, von denen beide Frauen bislang selbst nicht wussten.
Josie und Kathi sind generell gegensätzlich. Josie ist eine sensible Frau, ein wenig traumatisiert von ihrer Kindheit. Der Vater tot, das Verhältnis zur Mutter schwierig. Verlassen kann sie sich dafür immer auf ihren Bruder Florian. Ihre Verzweiflung ist beim Lesen gut nachvollziehbar, ihre Emotionen werden überzeugend transportiert. Kathi dagegen ist resolut. Sie will sich vom Leben nicht unterkriegen lassen – oder zumindest nicht zugeben, wie überfordert sie teilweise mit ihrer neuen Lebenssituation ist.
„Wir für uns“ thematisiert einige schwierige Themen. Unter anderem Kindstod, der eigentlich nur am Rande vorkommt, aber einen großen Einfluss auf Josie und das Verhältnis zu ihrer Mutter hat. Homosexualität, denn Kathis Sohn Max ist schwul. Die Geschichte driftet hier nicht in eine Wohlfühl-Welt ab. Kathi hadert mit der Sexualität ihres Sohnes, damit dass sie nun wohl keine Enkelkinder mehr bekommen wird und dass Max mit seinem Outing auch seine Frau Ida verletzt. Auch in dieser Hinsicht bleibt der Roman realistisch. Ebenso sehr wird Trisomie-21, also das Down-Syndrom, behandelt. Josie soll sich darauf testen lassen und steht vor der Frage: will sie überhaupt wissen, ob ihr Kind das Syndrom hat und wenn ja, wie will sie das Kind dann behalten? Höchst sensibel wird das Thema behandelt. Damit regt der Roman auch zum Nachdenken an und treibt einen beim Lesen so manches Mal an die Grenze und transportiert eine positive Botschaft: auch Kinder mit Trisomie-21 sind wundervolle Lebewesen.
„Wir für uns“ ist ein bewegender Roman. Hart und emotionsgeladen transportiert er heikle Themen, über die in dieser Form selten gesprochen wird, auf sensible Art und Weise. Eine Geschichte über Familie, Freundschaft und starke Frauen, die ihren eigenen Weg gehen. Deswegen würde ich allerdings auch jedem, der von diesen Themen getriggert wird, die Finger von diesem Buch zu lassen. Für alle anderen gilt: ein Must-read!