Ein berührender Roman, der Entscheidungen fordert und für Toleranz wirbt

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elke seifried Avatar

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„Ich, Josefine Pankratz, einundvierzig Jahre alt und in halbfesten Händen, bin schwanger. Die Sache hat nur einen Haken. Nein, sogar mehrere. Erstens: In meinem Leben ist kein bisschen Platz für ein Kind. Zweitens: Ich bin auch gar nicht dafür gemacht. Und drittens (das wiegt am schwersten): Bengt will das Kind nicht. Auf gar keinen Fall. Bei diesem Gedanken schießen mir sofort wieder Tränen in die Augen.“, heißt es für Josie, die bei einem Sparziergang auf dem Friedhof einen Ehering findet. Genau den hat die dreißig Jahre ältere Kathi kurz vorher bei der Beerdigung ihres Ehemanns, „Dass Werner einfach so im Sessel eingeschlafen und nicht mehr wach geworden ist, nimmt sie ihm übel. So schleicht man sich nicht davon, das ist nicht richtig. Wie wird es jetzt sein? Ohne ihn? Sie kann es sich nicht vorstellen.“, verloren. Josie will, dass der Ring seinen Besitzer wiederfindet, »Na ja, ich habe die Gravur gesehen, und auf dem Friedhof gibt es nur ein frisches Grab. W wie Werner. Verstehen Sie?« und aus dem ersten Zusammentreffen zweier Frauen, die auf den ersten Blick so gar nichts miteinander verbindet, entsteht eine tiefe, von Vertrauen und Respekt geprägte Freundschaft. Beide stehen sich mit Trost und Rat und Tat zur Seite, was sowohl Josie mit ihren Sorgen um das ungeborene Kind in ihrem Bauch, das Bengt lieber abgetrieben und ihre Mutter zumindest auf Trisomie 21 getestet sehen wollen würde, als auch Kathi, die nach dem Tod Werners, bitter erkennen muss, dass sie ihn scheinbar kein bisschen gekannt hat, und damit genauso wenig klarkommt, wie mit der Homosexualität ihres Sohnes, mehr als gut gebrauchen können.

Als Leser lernt man die beiden Frauen kennen, erfährt von Situationen aus deren Vergangenheit, die sie geprägt haben, von den Dingen, die sie im Moment beschäftigen, mit denen sie nicht klarkommen und die ihnen das Leben schwer machen und darf miterleben, wie sie sich gegenseitig und nach und nach auch mit den Gegebenheiten anfreunden.

Die Autorin erzählt ihre Geschichte abwechselnd aus Josies und Kathis Perspektive, was einen beiden sehr nah sein lässt und dabei hat es für mich keinen Unterschied gemacht, ob Josie aus der Ich-Perspektive oder ein Erzähler über Kathi berichtet. „Meine Beraterin heißt Frau Kleemann-Bause. Sie trägt eine dunkle eckige Brille und begrüßt mich mit einem sehr offenen Lächeln. Ein bisschen erinnert sie mich an Nana Mouskouri. Nana Mouskouri in jung und blond.“ Barbara Kuhnrat verwendet viele Bilder und Vergleiche, so konnte mir stets alles ganz genau vorstellen. Der locker, plauderende Schreibstil lädt dazu ein, sich so richtig fest zu lesen, vor allem weil ich ja auch unbedingt wissen wollte, wie sich Josie wegen des Kindes entscheidet. Emotional konnte mich die Autorin nicht nur inhaltlich, sondern auch durch ihre emotionale Art zu schreiben völlig einfangen. Fällt es ja auch nicht schwer, sich in Beschreibungen wie „Warum konnte ihre Mutter sich nicht an ihr erfreuen? So wie sie selbst sich an Max erfreut hat? Kathi nippt an ihrem Tee. Er ist längst kalt. Das Wurstbrot liegt unangetastet auf dem Teller.“, hinein zu fühlen.

Josie und Kathi, sind wie alle Nebendarsteller unheimlich authentisch, echt und gelungen gezeichnet. Beide könnten dem echten Leben entsprungen sein und sind mit ihren Gefühlen, ihren Sorgen, Ängsten mehr als glaubwürdig, ebenso wie ihre Entwicklung, die sie im Laufe des Romans machen. Beide Frauen, in die ich mich stets äußerst gut hineinversetzen konnte, waren mir von Anfang an äußerst sympathisch, Charaktere, mit denen man mitfiebern und mitleiden kann. Ich habe mich sehr für sie und ihre Entwicklung gefreut, die ich mir an deren Stelle auch bei mir vorstellen hätte können. Erwähnenswert finde ich unter den Nebendarstellern, vor allem Bengt, den Typ, der Josie zur Abtreibung drängt und eigentlich bei ihr nur ein schnelles Nümmerchen im Bett sucht und damit jegliche Antipathien meinerseits auf sich gezogen hat und auch Nela, das kleine herzige Mädel mit seinem einnehmenden Wesen, das so gut zeigt, dass Leben auch mit Handicap so lebenswert sein kann.

Ich habe teilweise gelesen, teilweise gehört und beides hat mir gleich gut gefallen. Da es sich um eine ungekürzte Fassung handelt, verpasst man mit dem Hörbuch nichts, und Yara Blümel macht ihre Arbeit hier mit ganz viel Herzblut. Die mir bis dato unbekannte Sprecherin verleiht beiden Frauen und auch den Nebendarstellern viel Profil, stattet alle mit einem ganz persönlichen Tonfall und viel Leben aus. Ich habe ihrem emotionalen Vortrag und ihrer äußerst angenehmen Stimme unheimlich gerne zugehört. Ich bin ziemlich sicher, dass ich ihren Namen auf meinem Radar behalten und wieder gerne zugreifen werde, wenn ein Roman von ihr eingelesen wird.

Richtig gut gefällt mir bei diesem empathischen Roman, dass die Autorin mit ganz viel Feingefühl um mehr Toleranz und Akzeptanz für Gruppen, die leider in unserer Gesellschaft längst noch nicht so integriert und akzeptiert sind, wie es wünschenswert wäre, wirbt. Viel mehr solcher Romane, die zum Nachdenken anregen und auch mit dem einen oder anderen Vorurteil aufräumen, sollte es geben, damit sich endlich ein Stück mehr bewegt und Menschen mit Handicap oder auch Homosexuelle einfach nur wie du und ich sein können.

Alles in allem eine berührend, emotionale Geschichte, die mich gefesselt und ganz wunderbar unterhalten hat. Für mich sind fünf Sterne da gar keine Frage.