Ein Platz im Leben

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
bobbi Avatar

Von

Sozialarbeiterin Josie ist mit 41 schwanger – von ihrer Langzeitbeziehung zum verheirateten Bengt. Feinfühlig, zart und auch lakonisch blickt der Leser in „Wir für uns“ tief in Josies Gedankengänge, Zweifel und Erinnerungen an ihre Kindheit, während sie überlegt abzutreiben und später bei den Frauenarztbesuchen ihre Ängste um eine mögliche Chromosomenstörung des ungeborenen Kindes wie Trisomie 21. Die Frau steht an einem wichtigen Wendepunkt in ihrem Leben, nachdem sie sich von Bengt trennt und beschließt, das Kind zu behalten. An diesem Punkt wird sie auf Kathi treffen, die Witwe ist, und neben Unsicherheiten und der Einsamkeit auch die Trauer um ihren verstorbenen Mann und distanzierten Sohn verarbeiten muss. Eine innige Frauenfreundschaft beginnt in dem fiktiven hessischen Dorf Solbach – nachdenklich und authentisch aus Josies Blick erzählt. Beide haben mit lange verschwiegenen Geheimnissen aus der Vergangenheit zu kämpfen – Josie wird sich ihrer unnahbaren Mutter annähern und ein Trauma aus ihrer Familie aufrollen.

„Aber unser Lächeln ist noch fragiler geworden, unsere Wortlosigkeit nur eine Offenbarung unserer Hilflosigkeit. Die vielen Wörter zwischen uns verschwinden doch nicht einfach in der Versenkung, nur weil wir sie nicht aussprechen.“ S. 354

Barbara Kunrath ist in ihrem fünfteiligen Roman eine warm und ehrlich geschriebene Geschichte mitten aus dem Leben gelungen – besonders die Momente, in denen Josie über gute Kinder-Erziehung und ihre eigenes Mutter-Vater-Verhältnis reflektiert, sind zart, direkt und bewegend aufgefangen. Aber auch die Sorgen und Gedanken einer Spätgebärenden sind eindringlich, hilfreich und wichtig zugleich. Kunrath versteht es, tiefe Emotionen wie Schmerz sowie Unsicherheit zu beschreiben und im nächsten Moment die Hoffnung aufblitzen zu lassen.

Wie sich Josie und Kathi trotz hohen Altersunterschied gegenseitig Mut zuzusprechen und in ihren Lebensumwälzungen hin zu einem sicheren Platz im Leben unterstützen, ist voller Wohlfühlfaktor und Menschlichkeit ohne in den Kitsch zu gleiten. Manches mag etwas überkonstruiert sein mit den vielen Nebencharakteren, aber stets fühlt man sich beim Lesen mitten im Leben. Ein warmherziger, authentischer Roman über Zufall, Loslassen, aber auch den Mut zu neuen, lebensverändernden Entscheidungen, nachdem Vergangenes verarbeitet ist.

„Glück zu potenzieren ist nahezu unmöglich. Beim Unglück geht es dafür wie von selbst.“ S. 359